Was kostet die eigene Bestandsergänzung?

Foto Zwei Nachzuchtkalbinnen auf der Alm
Nach wie vor betreiben die meisten Milchviehhalter eigene Bestandsergänzung und ziehen alle weiblichen Tiere auf. Viele Argumente sprechen dafür, angefangen von einer breiten Basis für die Selektion bis zum Gesundheitsstatus der Herde. Allerdings verursacht die Jungviehhaltung auch Arbeit und braucht nicht nur Futter und Fläche. Auch bei guten Zucht- und Schlachtviehpreisen lohnt sich daher ein genauer Blick auf die Kosten der Aufzucht und die Nutzungsdauer der Kühe.

Kosten der Kalbinnenaufzucht werden oft unterschätzt

Gesunde und leistungsfähige Tiere für die Bestandsergänzung sind die Basis einer erfolgreichen Milchviehhaltung. Dennoch ist in der Praxis zu beobachten, dass der Wert und die Kosten der Jungviehhaltung oft unterschätzt werden. Die Milchkuh steht im Mittelpunkt, da sie tagtäglich im Melkstand steht und die Haupteinnahmequelle darstellt. Die Ansprüche des Tieres an die Fütterung und die Haltung sind hoch und verlangen einen hohen Einsatz des Betriebsleiters. Die Jungviehaufzucht nach der Kälberphase ist hingegen häufig nur ein "mitlaufender Posten".
Nur ein Beispiel: Die Milchmengenerfassung ist unerlässlicher Standard in den Betrieben. Die Gewichtserfassung oder die Schätzung des Gewichts beim Jungvieh ist hingegen nach wie vor die absolute Ausnahme. Dabei ist die gesteuerte Gewichtsentwicklung der Jungtiere der gleiche Schlüssel zum Erfolg für die Nachzucht wie die Milchmenge für die Milchkühe.
Insgesamt ist bei fast allen Auswertungen festzuhalten, dass der Arbeitseinsatz, der Flächenbedarf und damit auch die gesamten Kosten der Aufzucht in der Praxis kaum bekannt sind und in der Regel stark unterschätzt werden. Dabei hat die Kalbin über die Aufzuchtdauer gesehen in etwa ebenso viel Grundfutter gefressen wie die Kuh in einem Jahr und für über zwei Jahre einen Stallplatz benötigt.

Jeder fünfte Euro für die eigene Nachzucht

Wie hoch ist also der tatsächliche Kostenanteil der eigenen Nachzucht an den Gesamtkosten der Milcherzeugung? Antworten finden sich in den bayerischen Auswertungen der Betriebszweigabrechnung (BZA). Anders als im Deckungsbeitrag werden hier die gesamten Kosten einschließlich der Entlohnung der eigenen Arbeit, des Kapitals und der Fläche ausgewertet.
Tortendiagramm: Von den Vollkosten von 53,5 Cent je Kilogramm Milch entfallen 11,3 Cent auf die eigene Nachzucht.Zoombild vorhanden

Abbildung 1: Vollkosten der Milcherzeugung

In der BZA-Gruppe handelt es sich um spezialisierte Milchviehbetriebe mit rund 80 Kühen. Je Milchkuh werden durchschnittlich 0,6 weibliche Jungrinder-Großvieheinheiten gehalten und zwischen 30 und 40 Färsen erzeugt. Im Durchschnitt bindet die Jungviehhaltung (ohne Futterwerbung) knapp 600 Arbeitsstunden und beansprucht darüber hinaus auch rund 13 ha Futterfläche. Auch in diesen gut organisierten Betrieben beansprucht die Kalbinnenaufzucht also über ein Drittel der Futterflächen und rund 15 % der Arbeitsstunden.
Bezogen auf die Vollkosten geht rund jeder fünfte Euro in die Nachzucht (Abbildung 1). Macht sich ein Betriebsleiter auf die Suche nach den Stärken und Schwächen der Milchviehhaltung, darf der Blick am Jungvieh folglich nicht vorbeigehen. Dennoch ist die Optimierung der Bestandsergänzung in der Praxis meist kein Thema, auch weil die notwendige Datenbasis fehlt.

Die Vollkosten liegen bei 2345 Euro je Tier

Insgesamt bestätigt sich schon seit Jahren, dass die Vollkosten der Färsenerzeugung (einschließlich Kälberaufzucht) 2.000 €/Tier meist übersteigen. Für das Jahr 2013/14 ergibt sich im BZA-System ein Durchschnittswert von 2.345 € je erzeugter Färse (brutto), wenn die in Ansatz gebrachten Arbeitsstunden mit 17,50 €/AKh und das eingesetzte Kapital mit 4 % entlohnt werden sollen (Tabelle 1 und Tabelle 1 ausführliche Form). Sowohl Kraft- als auch Grobfutter ist dabei mit Marktpreisen bewertet.
Berücksichtigt man die Nebenerlöse (darunter Mastfärsen, Güllewert rd. 200 €), ergibt sich ein theoretischer vollkostendeckender Färsenpreis von 2.142 € - bei einer Spannbreite von gut 1.500 € bis über 2.700 €. Lässt man die Ansätze für Arbeit und Kapital außen vor, befindet sich die Gewinnschwelle (ohne Prämien) bei rund 1.700 € je Tier. Die besten Betriebe kommen ab 1.100 €/Färse in die Gewinnzone, das schwächere Viertel benötigt über 2.200 €.
Damit wird klar, dass Jungviehaufzucht ein enges Geschäft ist. Die in der Praxis dominierende Vermarktung von Jungkühen, die im Erzeugerbetrieb das Kalb als zusätzlichen Nebenerlös mit sich bringt, ändert nichts an der grundsätzlich geringen Rentabilität dieses Betriebszweigs, auch wenn sich die Preise dort noch besser als in der Färsenvermarktung entwickelten.
Die Nutzung von Altgebäuden bringt dabei auf den ersten Blick ökonomische Vorteile, kann aber andererseits auch zu Problemen in der Haltung, Tierbetreuung und in der Arbeitswirtschaft führen. Schwierige Arbeitswirtschaft heißt mehr Arbeitssunden je Tier, was bei der Bewertung der Arbeitszeit auch die Vollkosten der Erzeugung anhebt. In neuen Ställen hingegen ist das Management zwar deutlich erleichtert, wird bei heutigen Baupreisen aber oft teuer erkauft.
Tabelle 1: Vollkosten der Kalbinnenaufzucht in der BZA Bayern 2013/14
Direktkosten€/ PE Färse *1.597
Arbeitserledigungskosten€/ PE Färse *587
Gebäudekosten€/ PE Färse *122
Allgemeine Kosten€/ PE Färse *40
Produktionskosten (Vollkosten)€/ PE Färse *2.345
* PE Färse = Produktionseinheit, schließt auch die Bestandsaufstockungen mit ein

Tabelle 1 in ausführlicher und ergänzter Form pdf 81 KB

Optimieren geht vor Auslagern der Aufzucht

In der Diskussion um die Jungviehaufzucht wird sehr schnell das Thema "Auslagerung der betriebseigenen Aufzucht" ins Feld geführt. Sicherlich wird nicht zuletzt die Neufassung der Düngeverordnung dazu führen, dass sich die regionale Flächenknappheit nochmalig verschärft und einige Betriebe diesen Weg einschlagen werden. Die größte Herausforderung dabei ist, dass Milchvieh- und Aufzuchtbetrieb zueinander passen müssen und beide Vorteile aus der Zusammenarbeit ziehen können.
In der Mehrzahl der Betriebe wird es aber auch in Zukunft darum gehen, im System der betriebseigenen Aufzucht zu bleiben und dieses zu optimieren. Dies beginnt mit der Frage des notwendigen Umfangs an Jungvieh, was eng mit dem Erstkalbealter, der Nutzungsdauer der Tiere und der damit notwendigen Remontierung zusammenhängt (Tabelle 2).
Im Rechenbeispiel der Tabelle 2 mit 100 Kühen benötigt die Variante "frühes Erstkalbealter mit 24 Monaten und 20 % Remontierung" 67 Stück Jungvieh weniger als die Variante "32 Monate Erstkalbealter und 40 % Remontierung". Je nach Leistungsniveau der Herde und Standort macht dieser Unterschied bezüglich des Flächennachweises nach Düngeverordnung in diesem Beispiel 15 ha aus (Tabelle 3).
Die Praxis spielt sich zwischen diesen beiden Extremvarianten ab. Je knapper und teurer die Flächen in der Region sind, desto stärker wirkt sich dieser Zusammenhang auf die Kostensituation des Betriebs aus. Nicht zu vergessen ist dabei auch der Effekt auf die Arbeitswirtschaft. Bei unterstellten 10 AKh/Jungviehplatz und Jahr werden in der "Sparvariante" der Tabelle 2 rund 600 h im Jahr frei, das sind gut 1,5 h pro Tag. Im Falle eines notwendigen Neubaus für das Jungvieh hat die effektivere Aufzucht und geringere Remonte zur Folge, statt 107 nur 40 Plätze für das Jungvieh schaffen zu müssen und damit deutlich günstiger bauen zu können.
Tabelle 2: Notwendige Nachzucht (Durchschnittsbestand weibliches Jungvieh, ohne Aufzuchtverluste) bei 100 Kühen in Abhängigkeit der Remontierungsrate und des Erstkalbealters (EKA)
 Remontierungsrate: 20 %Remontierungsrate: 30 %Remontierungsrate: 40 %
EKA: 24 Monate406080
EKA: 28 Monate477093
EKA: 32 Monate5380107
Tabelle 3: Nachzuweisende Fläche in ha nach Düngeverordnung bei 100 Kühen mit Nachzucht in Abhängigkeit der Remontierungsrate und des Erstkalbealters (EKA)
 Remontierungsrate: 20 %Remontierungsrate: 30 %Remontierungsrate: 40 %
EKA: 24 Monate676974
EKA: 28 Monate697278
EKA: 32 Monate727682
Hinweis zur Tabelle 3: Orientierungswerte nach Kalkulationsgrundlage Gelbes Heft der LfL, Acker-Grünlandstandort, Milchleistungsstufe 8000–9999 kg/Kuh; einzelbetriebliche Situation und spezifische Regelungen der Bundesländer zu berücksichtigen.

Erste Kalbung mit 26 Monaten ist vorteilhaft

Nach LKV-Auswertungen bewegt sich das Erstkalbealter bayerischer Kühe bei leicht abnehmender Tendenz bei rund 29 Monaten. 22 % der Holsteinkühe, 29 % der Fleckviehkühe und 52 % der Braunviehkühe sind älter als 30 Monate, wenn sie erstmals abkalben. Dass speziell die Haltungsmonate über den 25. Monat hinaus kostenintensiv sind, liegt auf der Hand. Fütterungsversuche an der LfL in Grub untermauern dies. Dabei wurden bei Fleckvieh-und Braunviehtieren das Erstkalbealter im Mittel von 28,4 auf rd. 25,5 Monate verkürzt. Es zeigten sich Einsparpotentiale bei Futterkosten als auch bei Stickstoff- und Phosphatausscheidungen bis über 20 %, ohne einen Rückgang in der Milchleistung oder in der Nutzungsdauer zu verzeichnen.
Dass Nährstoffbegrenzungen die neuen Quoten der Milchviehhalter werden könnten, belegen die Niederlande mit der Diskussion über einzelbetrieblich einzuhaltende Phosphatquoten. Ansätze zur Optimierung der Jungviehaufzucht sind ein wichtiger Ansatz, diese neuen Begrenzungen nicht zur Belastung werden zu lassen.

Nutzungsdauer bei nur rund 3 Laktationen

Nur ca. ein Fünftel der Kühe (20,9%) geht wegen zu geringer Leistung ab.Zoombild vorhanden

Abbildung 2: Abgangsursachen Erstlingskühe

Neben dem Erstkalbealter ist die Nutzungsdauer der große Hebel, mit weniger Vieh und weniger Fläche gleiche Mengen an Milch erzeugen zu können. Die bayerischen Kühe werden im Mittel nur rund 3 Laktationen genutzt, bevor sie abgehen. Dies entspricht einer Remontierung um die 33 % und hat zur Folge, unabhängig von der geplanten Selektion fast alle weiblichen Kälber aufstallen zu müssen. Dass der Trend der Nutzungsdauer - wenn auch nur leicht - nach unten deutet, obwohl die Fitnesskennwerte in der Züchtung an Bedeutung gewinnen, zeigt, dass die Nutzungsdauer sehr stark mit dem Betriebsmanagement und der betrieblichen Strategie zusammenhängt.
Problematisch erscheint vor allem die Tatsache, dass 18 % der Erstlingskühe nach der ersten Laktation ausscheiden und dabei fast die Hälfte der verantwortlichen Abgangsursachen in engem Zusammenhang mit der Betriebsführung stehen. Ein Drittel der Kühe gehen nach Auswertungen des LKV nach der ersten Laktation wegen Unfruchtbarkeit, Klauen- sowie Stoffwechselproblemen aus dem Stall (Abbildung 2).
Bei über 2.000 € Erzeugungskosten je Kalbin wird auch bei attraktiven Schlachtkuhpreisen für Fleckviehkühe klar, dass diese Tiere in dieser kurzen Zeitspanne nicht rentabel sein können. Bemerkenswert dabei ist, dass Betriebsleiter mit ausgelagerter oder zugekaufter Bestandsergänzung, für den die Aufzuchtkosten als tatsächliche Ausgabe offen und "spürbar" sind, dieses Thema deutlich aktiver angehen.

Lebenstagsleistung als Erfolgskriterium

Nicht nur, aber eben auch aus ökonomischer Sicht liegt der aktuelle Wert der Nutzungsdauer unter dem Optimum. Daran ändern auch gute Schlachtkuhpreise nichts. Ein Blick auf die Lebenstagsleistung macht deutlich, welche Reserven in diesem Bereich stecken. Der Kennwert Lebenstagsleistung kombiniert den Blick auf das Erstkalbealter, die Nutzungsdauer und das Leistungsniveau der Tiere. Dabei wird die Lebensmilchleistung der Kühe durch deren Lebenstage geteilt. Im bayerischen Mittel des LKV erreichen Fleckvieh 11,0, Braunvieh 11,6 und Holstein 13,3 kg Milch/Lebenstag. Aufgrund der Unterschiede im Leistungspotential und in den Nebenerlösen sind für Einnutzungsrassen höhere Lebenstagsleistungen anzustreben als für Zweinutzungsrassen. Ein Rechenexempel macht aber deutlich, dass die Zielsetzungen für die Praxis generell höher sein sollten. Eine Kuh, die mit 27 Monaten erstmals abkalbt und anschließend in vier Laktationen eine Durchschnittsleistung von 8.000 kg erreicht, erzielt eine Lebenstagsleistung von 14,0 kg.
Ohne die Zielrichtung hoher Laktationsleistung aus den Augen zu verlieren, wird die Tatsache, hohe Jahresleistungen länger als bisher "mit der gleichen Kuh" zu erreichen, nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus gesellschaftlicher Sicht an Bedeutung gewinnen.

In der Praxis enorme Spannbreite der Lebenstagsleistung

Balkendiagramm: Steigt die Nutzungsdauer von 26 auf 51 Monate, verdreifacht sich der Gewinnbeitrag der KuhZoombild vorhanden

Abbildung 3: Effekte höherer Lebenstagsleistung auf die Wirtschaftlichkeit

Auswertungen aus der BZA für Fleckvieh, die die Betriebe nach diesem Kriterium rangieren, zeigen die enorme Spannbreite der Lebenstagsleistung in der Praxis. Sie belegen aber auch eindeutig, dass hohe Lebenstagsleistung und wirtschaftlicher Erfolg meist Hand in Hand gehen (Abbildung 3). Dabei ist mit steigender Lebenstagsleistung nicht nur der Jahresgewinn je Kuh deutlich höher, sondern natürlich auch der "Tagesüberschuss" der Kuh. Um die Unterschiede in den Nebenerlösen zwischen den Rassen zu berücksichtigen, kann die Lebenstagsleistung mit ökonomischen Kennwerte wie der Direktkostenfreien Leistung verknüpft werden. Dass es sich lohnt, über die betriebseigene Strategie der Bestandsergänzung nachzudenken, zeigen die Ergebnisse dieses "Tagesüberschusses" ( in Form der Direktkostenfreien Leistung ) bezogen auf den Lebenstag: die ökonomisch schwachen Betriebe "verdienen" nur einen Euro je Tier und Tag und Tier, die erfolgreichen über 5 €.
Es ist sicher richtig, dass die Bestandsergänzung im Milchviehbetrieb nicht nur auf deren Kosten reduziert werden darf. Um das Zusammenspiel aus Tiergesundheit, Leistungsvermögen, Arbeitswirtschaft und Rentabilität aber zu optimieren, bedarf es messbarer Größen. Wenn man sich den wirklichen Kosten der eigenen Aufzucht bewusst ist, fällt es viel leichter, betriebliche Abläufe zu verändern.
Praxistipp: Rechnen Sie selbst!
Für den schnellen Überblick über die Wirtschaftlichkeit der Jungviehhaltung bis zur Kalkulation der Tagespauschale bei der Auslagerung bietet sich die Internetanwendung "LfL-Deckungsbeiträge und Kalkulationsdaten – Kalbinnenaufzucht" an. Darin sind vom Deckungsbeitrag bis zu den Vollkosten der Kalbinnenaufzucht Vorschlagswerte aus der Praxis hinterlegt und einzelbetrieblich anzupassen.

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