Die Milcherzeugung zwischen freiem Markt und neuen Begrenzungen

Fleckviehkühe im Stall

Die staatliche Milchquotenregelung der Europäischen Union endet zum 1. April 2015. Damit zieht sich der Staat nach 31 Jahren aus der direkten Mengensteuerung bei der Milcherzeugung zurück. Es liegt dann an den Landwirten selbst, die richtige betriebliche Strategie zu suchen und zu finden.

Nach dem Ende der Milchquotenregelung erhöht sich für die Landwirte die unternehmerische Freiheit aber auch die Herausforderung, die richtige betriebliche Strategie zu finden. Während 1984 die Milchquote als Instrument gegen Überschussproduktion und Preisverfall dienen sollte, haben sich die Rahmenbedingungen für die Milcherzeugung mittlerweile deutlich verändert. Die Ressourcen Fläche und Arbeit sind die neuen Wachstumsgrenzen. Speziell in Mittel- und Westeuropa wachsen gleichzeitig die gesellschaftlichen Anforderungen bezüglich Umweltschutz und Tierschutz, die mit einer wachsenden Skepsis gegenüber strukturellen Entwicklungen in der Tierhaltung einher gehen. Der europäische Milchsektor ist dementsprechend verunsichert, ob der Wegfall der Quote zu nachhaltigen Mengenüberschüssen und Preisverfall führt oder Milchknappheit die Situation nach 2015 prägen wird.

Der Markt für Milch und Milchprodukte in den Prognosen

Die EU-Prognosen für die weltweit gehandelten Milchprodukte Milchpulver, Käse und Butter gehen von kontinuierlich steigenden Nachfrage- und Angebotsmengen sowie einem ansteigenden Welthandel in einer Größenordnung von 2 bis 4 % p.a. aus (EU-KOM 2013).
EU-weit wird von 2013 bis 2023 mit einem Anstieg der Anlieferungsmilch um insgesamt 7,7 Mio. t auf rd. 150 Mio. t gerechnet. Nachdem sich der EU-Binnenmarktpreis für Milch deutlich vom Interventionspreis (21,7 ct/kg) abgekoppelt hat und der Weltmarktpreis gleichermaßen angestiegen ist, überwiegen leicht optimistische Sichtweisen die internationalen Preisprojektionen. Für die fünf Jahre unmittelbar nach der Quotenabschaffung geht die EU-KOM von leicht sinkenden, anschließend von leicht steigenden Preisen aus. Ähnlich argumentiert auch die Studie der FAO bzw. OECD für den Zeitraum 2013 - 2022 (FAO-OECD 2013).

Quotenende verringert Wachstumskosten

Trotz der gegenwärtigen Situation, dass sich Quotenpreise zum Ende der Quote hin erhöhen, da stark überliefernde Betriebe ihre Superabgabe verringern wollen, spielt die Milchquote für die Mehrheit der Betriebe mittlerweile keine entscheidende Rolle mehr bei der Frage einer betrieblichen Weiterentwicklung.

Neue Begrenzungen

Trotz der deutlichen Kostenentlastung zeigt sich aber zunehmend, dass die Quote als staatlich reglementierende „Bremse“ der Milcherzeugung von vielfältigen anderen Aspekten abgelöst wird. Zunehmende Konkurrenz am Flächenmarkt, verschärfte Auflagen bzgl. Flächennachweisen in der tierischen Veredlung (bspw. verankert in der Düngeverordnung und im Baurecht), steigende bauliche Auflagen bei Investitionen in Stallgebäude (steigende Flächenbedarfswerte je Tier, Emissionsregelungen, Abstandsregeln) sind nur die wichtigsten Punkte, die der generell positiven Einschätzung des Marktes und der Rentabilitätschancen gegenüber stehen.
Faktoren, die für eine Ausdehnung der Milcherzeugung sprechen
  • Gegen Null tendierende bzw. nicht mehr vorhandene Quotenkosten
  • Begrenzende Wirkung der Quote als betriebliche Zielmarke entfällt
  • Gute ökonomische Entwicklung der Betriebe seit 2009
  • Positive Marktanreize aufgrund steigender Weltmarktnachfrage nach Milch und Milchprodukten
  • Historisch niedriges Zinsniveau
  • Gute Konditionen in der einzelbetrieblichen Förderung (je nach Bundesland unterschiedlich)
  • In vielen Betrieben großes Potential zur Steigerung der Milchleistung und Flächeneffizienz
  • Fehlende landwirtschaftliche Alternativen in grünlanddominierten Milchzentren
  • Fehlende außerlandwirtschaftliche Alternativen in strukturschwachen Regionen
Faktoren, die gegen eine deutliche Ausdehnung der Milcherzeugung sprechen
  • Abnehmende Flächenverfügbarkeit bzw. steigende Flächenkosten als Entwicklungshemmnis und Kostenfaktor
  • Über lange Jahre hinweg relativ geringe ökonomische Attraktivität der Milcherzeugung bzgl. der Erzielung von Unternehmergewinnen, Kapitalrückgewinnung und Arbeitsentlohnung
  • Nachhaltig hohe Rentabilität in viehlosen Produktionsverfahren bei deutlich geringerem Arbeitsanspruch und größeren Möglichkeiten der Standardisierung von Arbeitsschritten bzw. geringerem Investitionsrisiko
  • Zu bewältigender Strukturwandel mit einerseits hohem Anteil von Anbindeställen und andererseits begrenzter Arbeitskapazität des vorherrschenden Familienbetriebes ohne angestellte Arbeitskräfte (v.a in Süddeutschland)
  • Milcherzeugung mit sozioökonomisch geringer Attraktivität in der Nachfolgegeneration (schwierige Vereinbarkeit mit Nebenerwerb, Freizeitanspruch)
  • Ansteigende „Nebenkosten“ der Milcherzeugung (u.a. Energie, Arbeit)
  • Mangel an Facharbeitskräften bzw. relativ hohe Arbeitskosten für wachstumswillige Betriebsleiter
  • Zunehmende Schwierigkeiten, größere Bauvorhaben zu realisieren (Baurecht, Umweltrecht, gesellschaftlicher Widerstand)
  • Steigende Anforderungen und Auflagen in der Erzeugung ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich (Bsp. „Tierwohl“, Düngeverordnung, Medikamenteneinsatz)
  • Kontinuierlich steigende Investitionskosten erhöhen Kapitalinvestment
Speziell aus Sicht der Milcherzeugerländer mit kleineren Milchviehbetrieben stellt sich darüber hinaus die Frage, wie es gelingen kann, den technischen und arbeitsorganisatorischen Fortschritt in diesen Strukturen wirtschaftlich vollziehen zu können. Der nach wie vor hohe Anteil von kleineren Anbindeställen in Süddeutschland und in den benachbarten Staaten in einer Zeit, in der automatische Melksysteme aus ökonomischer Sicht einen Milchdurchsatz von mindestens 500.000 kg Milch pro Jahr erfordern, macht die strukturellen Herausforderungen deutlich.

Potentialanalyse der Milcherzeugung für Bayern

Angesichts der Fragestellung, ob die Milchmenge nach dem staatlichen Quotenende unkontrolliert ansteige, wurde an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft eine Studie zu möglichen Entwicklungen in Bayern nach dem 01.04.2015 erarbeitet.

Potentialanalyse der Milcherzeugung in Bayern

Strukturentwicklung seit 1975

Ohne die Vielzahl an Einflussfaktoren – die nur zum Teil ökonomischer Natur sind – berücksichtigen zu können, bleiben wichtige Fakten festzuhalten. Die Milchquote wirkte nach den starken Produktionszuwächsen in den 1970er und 1980er Jahren definitiv mengenbegrenzend und begründete eine lange Phase restriktiver bzw. stagnierender Milchmengen. Leistungszuwächse der Tiere und technischer Fortschritt führten bei begrenzten Produktionsmengen zu deutlich zurückgehenden Kuhbeständen und wurden von einem relativ stabilen Strukturwandel in Höhe von rund 4 % p.a. (Bezug Milchviehhalter) begleitet.
Mit der zunehmenden Lockerung des Milchquotenregimes (Ausweitung der Handelbarkeit, Gratiszuteilung von Quoten, Saldierungsmöglichkeiten) ab 2005 zeigten sich die möglichen Potentiale der Milcherzeuger – vor allem in den ökonomisch guten Phasen in 2007/08 bzw. seit 2011/12. Gleichzeitig beeinflusste das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) Deutschlands die strukturelle Entwicklung der Landwirtschaft enorm. Sowohl die Flächennutzung als auch einzelbetriebliche Investitionsentscheidung orientierten sich zwischen dem Jahr 2000 und 2013 stark an der Energieerzeugung aus Biomasse. Da sich diese Entwicklung zum großen Teil in Regionen mit starker Viehhaltung und damit ohnehin relativ knapper Fläche abspielte, erhöhte sich der Wettbewerb um die Fläche.

Die bayerische Milchmenge wird nur moderat steigen

Grafik Quotenentwicklungen in Bayern seit Einführung der Quotenbörse im Jahr 2000Zoombild vorhanden

Abbildung 1: Quotenentwicklungen in Bayern seit Einführung der Quotenbörse im Jahr 2000; Quelle: LfL-IEM 2014

Unter Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen und der strukturellen Ausgangssituation geht die bayerische Studie in ihrem „wahrscheinlichsten“ Szenario von einem sehr überschaubaren Milchwachstum in Höhe von 0,7 % p.a. bis 2025 aus. Dabei ist die Milcherzeugung Bayerns geprägt von einem Nebeneinander von Wachstums- und Rückzugsregionen. Die extrem unterschiedlichen Quotenentwicklungen in den einzelnen Landkreisen Bayerns belegen dies (Abbildung 1).
Allen nationalen und internationalen Studien und Analysen zur zukünftigen Milcherzeugung gemein ist die Feststellung, dass sich einerseits die Milcherzeugung in Milchhochburgen immer stärker konzentriert, sich andererseits aber zunehmend große Begrenzungen der Weiterentwicklung ergeben.

Rentabilitätsvergleich vor und nach 2007

Aus Sicht der Ökonomie ist die entscheidende Frage, wie sich die Rentabilität als Saldo aus Leistungen und Kosten verändert hat. In einer langfristigen Analyse von Buchführungsergebnissen ergibt sich ein eindeutiges Bild. Trotz der gewaltigen Marktausschläge war die ökonomische Situation der Milcherzeuger nach 2007 – dem Beginn der „liberalisierten Phase“ – besser als vorher. Inflationsbereinigt führten die kontinuierlichen Wachstumsschritte der Betriebe zu realen Einkommenszuwächsen. Allerdings zeigt sich auch, dass die durchschnittlichen Haupterwerbsbetriebe (mit 40 – 50 Kühen) nicht genügend betrieblichen Gewinn für eine ausreichende Eigenkapitalbildung erwirtschaften. Vielmehr werden laufende Einlagen (sog. Einkünfte aus beruflichem Nebenerwerb, Gewerbe o.ä.) in Höhe von mehr als 10.000 € benötigt.
Deutsche und internationale Betriebszweigabrechnungen bestätigen, dass die Erzielung von Unternehmergewinnen, die eine Stundenentlohnung von 15 €/AKh mit einschließt, im Sinne einer Vollkostendeckung nur in entsprechend strukturierten Spitzenbetrieben möglich war.

Erfolgsfaktoren für die Zukunft

Konkurrenz um Fläche ist nur ein Thema, das weltweit für viele Milcherzeuger eine Herausforderung darstellt. Futterkosten und Arbeitskosten sind weltweit die wesentlichen Bestimmungsfaktoren für eine wettbewerbsfähige Milcherzeugung. Kooperationen zwischen Betrieben werden zunehmen (müssen), um die Betriebe gleichermaßen in ökonomischer, sozialer und ökologischer Sicht zukunftsfähig zu machen.
Je größer landwirtschaftliche Unternehmen werden, umso wichtiger wird es, die einzelbetrieblichen Risiken – auch die finanziellen – zu kennen und nach Möglichkeit zu minimieren.

Fazit

Die Milcherzeugung unterliegt auch ohne staatliche Quotenregelung nach dem 1. April 2015 vielfältigen Einflussgrößen und Begrenzungen. Die erzeugte Milchmenge ist nicht mehr zentral und zielgenau steuerbar, wird sich aber in Abhängigkeit der Marktgegebenheiten über den gesamten Sektor hin an die Nachfrage anpassen. Für die Molkereien und Milchverarbeiter und Milchhändler wird die Rohstoffbeschaffung und vor allem -planung hingegen deutlich erschwert. Trotz grundsätzlich optimistischer Milchmarktprognosen der FAO bzw. der OECD sowie der EU-Kommission, die die gute Entwicklung bei Nachfrage und Erzeugerpreis der letzten Jahre vorsichtig fortschreiben, heißt freier Markt voraussichtlich nicht „freie Fahrt“. Europa ist geprägt ist von einer zunehmend hohen Regelungsdichte und steigenden gesellschaftlichen Anforderungen an den Tier- und Umweltschutz. Gleichzeitig definiert sich Wettbewerbsfähigkeit aber nach wie vor über geringe Produktionskosten und Nahrungsmittelpreise. In diesem Spannungsfeld, das Chancen und Risiken birgt, steigen die Herausforderungen an die europäischen Milcherzeuger.
Die ausführliche Fassung dieses Beitrags wurde im Tagungsband der 41. Viehwirtschaftlichen Fachtagung (9./10.4.2014 am Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein) veröffentlicht (Seiten 1-6).

Tagungsband der 41. Viehwirtschaftlichen Fachtagung (externe PDF-Datei, 4 MB) Externer Link

Die zugehörigen Vortragsfolien sind ebenfalls beim Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein abrufbar.

Vortragsfolien "Zukünftige Milcherzeugung zwischen freiem Markt und neuen Begrenzungen" (externe PDF-Datei, 2 MB) Externer Link

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