12. Marktforum der LfL am 09.10.2018: "Das 'fünfte' Viertel"
Am 9. Oktober 2018 veranstaltete das Institut für Ernährungswirtschaft und Märkte der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft sein 12. Marktforum im Forum Grub mit dem Thema „Das 'fünfte' Viertel".
Rund 100 Interessierte und aus der Fleischwirtschaft, dem Erfassungshandel, der Wissenschaft und von behörden kamen am LfL-Standort Grub zusammen, um sich über die vielseitigen Vermarktungsmöglichkeiten von Schlachtnebenprodukten auszutauschen.
In Deutschland werden rund 8,25 Mio. Tonnen Fleisch erzeugt (Statistisches Bundesamt für 2016). Bei der Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung fallen etwa 2,6 Mio. Tonnen Schlachtnebenprodukte an.
Der Schlachtkörper wird üblicherweise in zwei vordere und zwei hintere Viertel zerteilt. Der Rest wie Innereien, ggf. Kopf, Schwanz und Füße wird häufig als 'fünftes' Viertel bezeichnet. Der Handel mit Schlachtnebenprodukten agiert derzeit so global wie kaum ein anderer und erzielt je nach Verzehrsgewohnheiten oft eine beachtliche Wertschöpfung.
Namhafte Vertreter der Fleischverarbeitung und -vermarktung stellten sowohl Anforderungen als auch interessante Möglichkeiten zur Vermarktung des „fünften Viertels“ vor. Vertreter der Land- und Ernährungswirtschaft, insbesondere Erzeugerorganisationen für Fleisch und fleischverarbeitende/-vermarktende Betriebe, des Metzgerhandwerks sowie von Verwaltung, Bildung und Beratung diskutierten gemeinsam über diesbezügliche Herausforderungen auf den regionalen und globalen Märkten. Eine Verarbeitung zu außergewöhnlichen Lebensmitteln und Schlachtnebenprodukten kann das „fünfte Viertel“ von Rind und Schwein zur Spezialität machen.
Präsident Jakob Opperer begrüßte die Tagungsteilnehmer und führte in das spannende Thema des 12. Marktforums ein, das sich in die mittlerweile traditionelle Serie der LfL-Marktforen einreiht.
Die ganzheitliche Verwertung des Schlachtkörpers bedarf der gezielten Aufmerksamkeit für Lebensmittel und dem Bewußtsein für Lebensmittelverschwendung, so Opperer. Am Markt muss sich schließlich zeigen, ob eine gute Wertschöpfung für diese "besonderen" Lebensmittel erzielt werden kann.
Dr. Dagmar Adeline Brüggemann, Leiterin Institut für Sicherheit und Qualität bei Fleisch am Max Rubner-Institut Kulmbach
Das „fünfte“ Viertel – Überraschungsei der Fleischwirtschaft?
Für Prof. Dr. Brüggemann vom Max-Rubner-Institut war „Das fünfte Viertel“ das schwerste Thema, in das sie sich für einen Vortrag einarbeiten musste, dennoch empfand sie es als sehr spannend. Die Leiterin des Institutes für Qualität und Sicherheit bei Fleisch stellte den Zuhöhrern grundlegende Daten und Beurteilungskriterien zum Anfall und zur Verwertung von Schlachtnebenprodukten der wichtigsten Nutztierarten vor – von gesetzlichen Grundlagen bis zu biotechnologischen Herstellungsverfahren möglicher „Abfall“produkte aus der Schlachtung.
Beim Schwein fallen 34 % Schlachtnebenprodukte an, beim Rind 42 % und beim Huhn 25 %. Tierische Nebenprodukte werden nach dem Grad der von ihnen ausgehenden Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier in drei Risikokategorien eingeteilt und müssen vom Anfall bis zur Verwertung strikt getrennt bleiben. Lebensmitteltauglich sind ausschließlich Materialien der Kategorie drei, z.B. essbare Fette (Back-, Brat- und Streichfette). Materialien mit geringem Risiko (Kategorie drei) werden als Fette in der Oleochemie eingesetzt (als Ersatz für Palmfett), für die Herstellung von Nutz- und Heimtierfutter (Fette und Proteine) sowie von Fischfutter (verarbeitete tierische Proteine als Ersatz für Fischmehl).
Auch auf die Folgen der BSE-Krise auf die Verwertung von Schlachtnebenprodukten ging die studierte Landwirtin ein.Die Verfütterung von tierischem Fett an Wiederkäuer ist wieder erlaubt, das Verbot als Folge der BSE-Krise wurde aufgehoben.
Egbert Klokkers, Geschäftsführer der Tönnies Rind GmbH & Co. KG
Das „fünfte“ Viertel beim Rind – Vermarktung, Verwertung, Entsorgung
Egbert Klokkers, der 23 Jahre den Export bei Westfleisch leitete und auf diesem Gebiet eine langjährige Berufserfahrung aufweisen kann, spricht u.a. von Lebensmittelvernichtung und Ressourcenverschwendung. Er schätzt das gut verwertbare fünfte Viertel auf fünf bis zehn Prozent des Schlachtkörpers. Tönnies verarbeitet und vermarktet seine Schlachttiere zu 100 Prozent. Die Verarbeitung von Nebenprodukten spielt dabei eine immer größere Rolle und steigert die Wertschöpfung.
Die tierischen Nebenprodukte werden nach dem Grad der von ihnen ausgehenden Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier in drei Risikokategorien eingeteilt. Diese Kategorien sind demzufolge unterschiedlich zu be- und verarbeiten bzw. zu entsorgen. Material mit einem geringen Risiko (Kategorie 3) sind Teile von genusstauglichen Tieren, die nicht zum menschlichen Verzehr verwendet werden bzw. beim Einsatz in der Tiernahrung einen Mehrwert erzielen. Werthaltige Produkte aus dem 5. Viertel sind die "roten" (Herz, Lunge, Leber, Nieren, Zunge, (Kalbs)Bries, Nierenzapfen, Saumfleisch und Aorta) und sog. "weißen" Innereien (Pansen, Blättermägen, Labmägen, Milz) werden national und international je nach Verzehrgewohnheiten an den Lebensmitteleinzelhandel sowie diverse Verarbeitungsbetriebe verkauft. Angebot und Nachfrage sowie saisonale Schwankungen regeln den Preis. Unterbeine, Kopfhäute und Ohren müssen enthaart und gebrüht werden, Hauptabsatzmärkte sind West- und Zentralafrika. Spaltfette aus der Haut werden im Gerbprozess gewonnen und zu Gelatine verarbeitet. Die Wertigkeit von Fellen ergibt sich aus Rasse, Gewicht, Geschlecht, Produktionsverfahren (Bio) sowie der Rückverfolgbarkeit und wird durch die finale Verwendung bestimmt. Der Fleckviehbulle ist lt. Klokkers "der Porsche" unter den Fellen. Renomierte Partnern der verschiedenen Sparten der Weiterbe- und -verarbeitungsindustrie produzieren und vermarkten die in der Lebensmittelproduktion anfallenden wertvollen Nebenprodukte zu funktionalen Nahrungsergänzungsmitteln, Pharmazieprodukten, Biodiesel oder Heimtiernahrung.
"Wir importieren teures Soja aus Südamerika und haben hochwertige Proteine vor der Haustüre", so der Geschäftsführer von Tönnies Rind, "die Thematik ist aber gesellschaftspolitisch nicht akzeptiert."
Ausführliche Präsentation "Das ,fünfte' Viertel beim Rind – Vermarktung, Verwertung, Entsorgung"
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Michael Hackner, Geschäftsführender Gesellschafter der CDS Hackner GmbH in Crailsheim
Die sinnstiftende Verwertung des sogenannten fünften Viertels
Das Familienunternehmen CDS Hackner GmbH ist der Spezialist zur sinnstiftenden Verwertung des 5. Viertels und produziert Naturdärme und Schlachtnebenprodukte von Rind, Schwein und Schaf. Das in vierter Generation geführte Familienunternehmen hat sich eine energieeffiziente Produktion auf die Fahne geschrieben, die sich durch eine nachhaltige Energiepolitik ausdrückt und einen wichtigen Teil zur Verbesserung der Wertschöpfungskette eines Schlachttieres und damit zu einer nachhaltigen Fleischproduktion beiträgt.
"Das fünfte Viertel ist ein Drittel" behauptet dagegen Geschäftsführer Michael Hackner. 25 bis 30 % des Schlachtgewichtes eines Tieres gehen ihm zufolge als Lebensmittel normalerweise verloren, weil sie in Deutschland nicht gefragt sind. Deshalb bringt er seine Produkte über den freien Warenverkehr "dorthin, wo sie gebraucht werden und eine größere Wertschätzung erfahren". 36 % seiner Produktion entfallen auf den bereich Naturdärme, 60 % auf Fleisch- und Innereienspezialitäten, die er aus Qualitätsgründen tiefgefroren handelt.
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Bernhard Gronegger, Geschäftsführer der BestHides GmbH in Memmingen
Das Nebenprodukt Haut – eine Herausforderung für die Zukunft?
Die 1980 von der Moksel Unternehmensgruppe gegründete BestHides GmbH ist ein weltweit agierender Anbieter von gekühlten und nass gesalzenen Rinderhäuten und Kalbsfellen aus Nord-, Mittel- und Süddeutschland. Seit dem Jahr 2014 gehört BestHides zu großen Anteilen Vion, dem größten Lieferanten von BestHides. Bie Verarbeitung der Haut beinhaltet ein aufwendiges Verfahren von der Abholung über die Registrierung (Rückverfolgbarkeit), Qualitätskontrolle, Klassifizierung (im Hinblick auf Lederherstellung) und Konservierung (Salzung, Kühlung) bis zur Logisitik und den Verkauf an Lederhersteller bzw. Gerber.
Das Hauptprodukt Leder wird hauptsächlich eingesetzt in der Schuhindustrie (45 % des Weltbedarfs, sinkend), Möbelindustrie (20-15 %, sinkend), Autoindustrie (15-20 %, steigend), Taschen- und Bekleidungsindustrie (10-15 %) und zunehmend im Reitsport (> 5 %). Die aktuelle Marktsituation ist von einem allgemeinen Preisverfall geprägt, weltweit gibt es einen starken Angebotsüberhangs an Rohware/Halbfertig-Leder (südamerikanische Rinderhäute). Geschäftsführer Bernhard Gronegger bezeichnet dies als die schwierigste Marktsituation im Ledermarkt seit 2008/09. Trotz sinkender Preise stellt sich kein Marktgleichgewicht ein.
Herausforderungen für die Zukunft seien u.a. die vegane Bewegung wie beispielsweise veganes „Leder“ im Auto (Tesla) und im Schuh (Pinatex). Hightech-Materialien im Schuh (Goretex, Sympatex) verdrängen Tierleder, Tierschutzkriterien erschweren die Vermarktung (Automobil-Labels fordern Nachweise), zudem eine zunehmende (Ab-)Wasser- und Umweltproblematik in der Gerbereiindustrie und nicht zuletzt der US-Handelskrieg und seine Auswirkungen.
Gegenmaßnahmen und Strategien seitens Besthides sind eine Qualitätsoffensive in der Haut, eine transparente Dokumentation im tracking & tracing sowie im Tierschutz - aufbauend auf den QS-Fleischprogrammen mit Tierschutzlabel. Hohe EU-Standards im Tierschutz dienen als Verkaufsargument, Regionale EU-Haut kann eine CO2 reduzierte und dokumentierbare Alternative für die europäische Lederindustrie darstellen. Zudem gelten Biohäute (von Biorindern) als neues Produkt für die Herstellung von Bioleder. Die Haut darf kein verschwendeter Rohstoff werden, sie muss als langlebiger, hochqualitativer und kompostierbarer (vegetabiler) Rohstoff vermarktet werden!
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Otmar Mutzenbach, Geschäftsführer der Schneider Bräuhaus München GmbH & Co. KG
Feines aus „Unfeinem“
Die Geschichte des Schneider Bräuhaus im Herzen Münchens geht bis ins 16. Jahrhundert zurück und ist seit 1872 Stammsitz der Brauerei, in diesem Jahr wurde dort die erste "Schneider Weisse" gebraut. Heute ist die Gastwirtschaft eine Münchner Institution mit authentisch bayerischen Gerichten und dem original Münchner Kronfleisch. Das Unternehmen setzt auf Regionalität und ökologische Verantwortung, Fertiggerichte kommen so gut wie gar nicht zum Einsatz. Die Tiere werden als ganzer Schlachtkörper angeliefert und komplett verarbeitet - vom Knochen samt Mark über Knorpelmasse, Schwarte, Ohren, Rüssel, Collagen der Haut und Blut bis zu Kleinstteilen als Feuchtigkeitsgeber. Die Partnersuche ist zum Teil eine echte Herausforderung, räumt Geschäftsführer Otmar Mutzenbach ein. Am Ende der Produktionskette ist Kreativität gefragt, die Gastwirtkollegen kochen eher klassisch, der Mut zu Neuem fehlt bisweilen und Wissen über verschiedene Zubereitungsmöglichkeiten ist verloren gegangen. Im Schneider Bräuhaus werden mittlerweile 10 Prozent aller angebotenen Speisen aus dem 'fünften' Viertel erstellt und die Nachfrage steigt. "Das fünfte Viertel ist reine Kopfsache, selten eine Geschmacksfrage", so Mutzenbach. Auf den Tisch kommen bei ihm u.a. Ochsenbackerl, Kalbskopf, Sauschwanzerl, Hirrnschmarrn und Kalbsherz, ein Renner ist das "Münchner Voressen" aus Kalbs- und Schweinelunge, Kutteln und Kalbsbries, süß-sauer zubereitet. Nicht alles gibt es an jedem Tag, jedoch mit saisonal wechselnden Rezepten und Kompositionen.
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Dr. Peter Sutor, Leiter des Instituts für Ernährungswirtschaft und Märkte an der LfL
Vermarktung von Schlachtnebenprodukten aus Sicht des Imports/Exports
Die Modellkalkulation zu Mengen und Wert des fünften Viertels von Dr. Peter Sutor befasste sich mit Mengen und Wert des fünften Viertels bei Rind und Schwein, der Bedeutung des Außenhandels bei Schlachtnebenprodukten und deren Marktentwicklung. Beim Rind fallen 74% des Schlachtkörpergewichtes (SKG) unter die Schlachtnebenerzeugnisse (SNE), davon sind rund 24 % genießbar. Beim Schwein machen die Schlachtnebenerzeugnisse 25% des SKG aus.
Der Import aller Schlachtnebenerzeugnisse ist mengenmäßig in den vergangenen zehn Jahren um das ca. eineinhalbfache angestiegen, insebesondere die Importe von SNE um mehr als das Doppelte.
Ähnlich verhalten sich die Exportmengen von SNE. Die Imortpreise -ausgedrückt in in €/kg SNE - sind in den vergangenen zehn Jahren leicht gesunken. Allein der Export von SNE von Rind und Schwein (im Durchschnitt 34 % des Schlachkörpergewichtes) erzielte rund 13 % des Produktionswertes aller in Deutschland geschlachteten Tiere.
Die deutsche Schlachtwirtschaft erzielt mit der Verwertung von SNE - insbesondere von Schweinen (Kopffleisch, Kollagen usw.) gute Exporterlöse. Auch Därme und Mägen in weitgehend unverarbeitetem Zustand werden nach China exportiert, im Gegenzug ist China Hauptlieferant von veredelten Därmen und Mägen in verarbeitetem Zustand. Hier werden Preise von über 8 €/kg erreicht. Im EU-Binnenmarkt sind die bedeutendsten Handelspartner die benachbarten Mitgliedstaaten der EU, insbesondere Niederlande.
Österreich vermarktet erhebliche Teile seiner Schlachtnebenprodukte über Deutschland. Deutschland erzielte in den letzten 10 Jahren überall deutliche Überschüsse, aber mit abnehmender Tendenz.
Der Schlachtkörperwert für Schwein und Rind beläuft sich in Deutschland auf 13,2 Mrd. €, die Menge des Schlachtkörpergewichts auf 7,07 Mio. t. Der Anteil aller Schlachtnebenprodukte wird in der Kalkulation auf 4,58 Mrd. € geschätzt.
Fazit: Das Wachstum der deutschen Fleischwirtschaft beruht partiell auf der Erschließung der Märkte für Schlachtnebenerzeugnisse auf globalen Märkten, insbesondere auf der Vermarktung von genussfähigen SNP beim Schwein. Konzerne sind hier im Vorteil.
Während die Vermarktung von Schlachtnebenerzeugnissen im Export bei Rindern nur eine geringfügige positive Tendenz (Häute) aufweist, zeigt die Vermarktung von genussfähigen Schlachtnebenprodukten (Kopf und Kopfteile, Kollagene usw.) beim Schwein erhebliche Zuwachsraten.
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Ministerialdirigent Eckbert Dauer, Leiter der Abteilung Ernährung und Markt am Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Zusammenfassung und Schlusswort
Ministerialdirigent Eckbert Dauer vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten fasste zusammen, dass das Thema "fünftes Viertel" einen Bereich darstellt, der kaum wie ein anderer globalisiert ist von großen Unternehmen bedient wird. Kleione Betriebe und Metzger dagegen sind kaum in der Lage, an der Wertschöpfungskette teil zu nehmen, mit Ausnahme einer Kooperation zwischen Metzgerhandwerk und Gastronomie. Verarbeitetes tierisches Protein kann im Hinblick auf Nachhaltigleit und Regionalität als Proteinquelle zukünftig eine Rolle spielen.
Vielleicht sind ja Schweinsfüße, die von Chinesen als Delikatesse betrachtet werden, weil sie angeblich schöner machen, die Geburt eines neuen Anti-Aging-Produktes, bemerkte der Leiter der Abteilung Ernährung und Markt abschließend.