Verbundprojekt Hitzestress bei Rindern – Bauliche Maßnahmen

Untersuchung und Bewertung baulicher Maßnahmen zur Reduzierung des Hitzestresses bei Rindern

Die Folgen des Klimawandels treten immer deutlicher zu Tage. Dabei ist die Erhöhung der mittleren Temperatur auch mit einer höheren Anzahl von Tagen mit großer Hitze und dem Auftreten von Hitzewellen verbunden. Diese klimatischen Veränderungen in Kombination mit einer höheren Stoffwechselleistung von Milchkühen führen dazu, dass immer häufiger mit dem Auftreten von kritischen Temperaturen im Stall gerechnet werden muss.

Bei Milchkühen können bereits ab Temperaturen unter 16°C erste Anzeichen von Unwohlsein beobachtet werden. Ab 20°C sind Kühe nicht mehr im ausreichenden Maße in der Lage, die selbst erzeugte Wärme an die Umgebung abzugeben. Diese Belastungssituation für das Tier wird als Hitzestress bezeichnet. Ab welchem Zeitpunkt eine Hitzestresssituation entsteht, ist neben tierbezogenen Faktoren wie Rasse, Milchleistung, Alter und Trächtigkeitsstadium auch von klimatischen Faktoren abhängig, auf die die bauliche Hülle einen großen Einfluss hat. Zu diesen gehören die Lufttemperatur, die relative Luftfeuchte, die Luftgeschwindigkeit, die direkte Einstrahlung durch die Sonne, aber auch die indirekte Einstrahlung über erwärmte Bauteile wie Dachflächen.

Ziel

Im Rahmen des Forschungsprojekts werden seit 2015 am Institut für Landtechnik und Tierhaltung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft die verschiedenen baulichen Einflussfaktoren auf das Temperaturverhalten eines Milchviehstalls untersucht. Ziel ist es, die Auswirkungen und das komplexe Zusammenspiel baulicher (passiver) Maßnahmen zur Verringerung von Hitzestress in Milchviehställen bestimmen und optimieren zu können sowie zu beurteilen, ob und wie eine wirksame Reduzierung von Hitzestress in einem Milchviehstall unter verschiedenen Klimabedingungen zu erreichen ist.

Methode

Zu Beginn des Forschungsvorhabens durchgeführte Messungen an verschiedenen Praxisbetrieben haben gezeigt, dass unterschiedlichen Ausführungen der baulichen Hülle auch zu Unterschieden im Temperaturverhalten führen. Differenzierte Aussagen dazu, welche baulichen Einflussfaktoren in welchem Maße dafür verantwortlich sind und wie weit eine Optimierung möglich ist, waren aber auf Grund der Vielzahl der Parameter und der schwer vergleichbaren Rahmenbedingungen der Messungen wie Tierdichte, Klimadaten und Stallmanagement nicht möglich.
Um gleiche Rahmenbedingungen zu gewährleisten, wurden mit Hilfe eines hygrothermischen Simulationsprogramms verschiedene digitale Gebäudemodelle mit unterschiedlichen baukonstruktiven Eigenschaften untersucht. Dabei wurden für alle Modelle neben den gleichen Klimadaten auch die gleiche Anzahl von Tieren und damit die gleichen Wärme- und Feuchtelasten angenommen. Berechnet wurden Stundenwerte für Lufttemperatur, -feuchtigkeit und die Temperatur der inneren Bauteilflächen. Ausgehend von diesen Werten konnte der THI berechnet werde, wobei anstelle der Lufttemperatur die operative Temperatur verwendet wurde. Die operative Temperatur berücksichtigt zu gleichen Teilen die Lufttemperatur und die mittlere Temperatur der inneren Bauteilflächen. Somit geht in den berechneten THI neben der Lufttemperatur und -feuchtigkeit auch die Strahlungswärme erwärmter Bauteile wie Dachflächen ein. Die berechneten THI Stundenwerte wurden für die unterschiedlichen Gebäudemodelle für den Zeitraum vom 01. April bis 30. September 2006 berechnet und hinsichtlich ihres Gefährdungspotentials als Hitzestressstunden addiert und verglichen.

Ergebnisse

Auswirkungen auf das Tier

Die Auswirkungen des Hitzestresses auf das Tier sind im Teil der technischen Maßnahmen zur Reduzierung von Hitzestress des Verbundprojektes beschrieben.

Verbundprojekt Hitzestress bei Rindern (Technische Maßnahmen)

Natürliche Lüftung

Der Einfluss der Fassadenöffnungen und damit des Luftwechsels auf die Entstehung von Hitzestress in einem Stall ist erheblich. Im Sommer ist die natürliche Lüftung die wirkungsvollste Wärmesenke. Dieser stehen erhebliche Wärmequellen, wie der direkte Energieeintrag der Sonne über Fassadenöffnungen, der indirekte Eintrag über erwärmte Dachflächen und vor allem die inneren Wärmelasten der Tiere gegenüber. Das kann dazu führen, dass es im Stall wärmer ist als außen.
Je höher der Luftwechsel ist, desto näher kommen sich Innen- und Außentemperatur. Damit sollten im Sommer die Fassadenöffnungen so groß wie möglich, aber keinesfalls kleiner als insgesamt 2,5 m² / Tier sein. Das entspricht einer Öffnung an den Fassaden von 1,25 m² / Tier und Seite bei idealerweise gegenüberliegenden geöffneten Fassadenflächen.
Der Luftwechsel wird durch eine Orientierung des Baukörpers quer zur Hauptwindrichtung begünstigt. Dabei sollte allerdings sorgfältig geprüft werden, ob an heißen Tagen und bei hohen Außentemperaturen überhaupt relevante Luftbewegungen genutzt werden können. Übliche Windkarten geben in der Regel nur Durchschnittswindstärken pro Monat in großer Höhe an und sind somit für diese Fragestellung wenig hilfreich. Unter bayerischen Klimaverhältnissen, besonders im Alpenvorland, ist die Temperaturregulierung über natürliche Luftbewegung im Stall wenig erfolgversprechend, weil heiße Sommertage hier oft weitgehend windstill verlaufen. Bei baulichen Maßnahmen im und am Stall sind somit begleitende, möglichst genaue Betrachtungen der lokalen Windverhältnisse notwendig.
Der Luftwechsel und die Durchlüftung eines Stalls werden ebenfalls durch die Wahl des Gebäudetypus beeinflusst. Lange und schmale Baukörper haben in der Regel einen größeren traufseitigen Fassadenflächenanteil im Verhältnis zur Grundfläche als breitere Baukörper. Direkte Anbauten an Stallgebäude, wie z. B. Melkhäuser, die den Luftwechsel einschränken, sollten vermieden werden.
Abb. 1.: Beispiel für einen Milchviehstall mit großzügigen Fassadenöffnungen.

Bild eines Milchviehstalles, bei dem die Seitenfassade fast komplett geöffnet ist

Lüftung durch Ventilatoren

Der Luftwechsel kann auch durch den Einsatz von Ventilatoren erhöht werden. Die Wirkungsweise mit Empfehlungen zum Einbau sind im Teil der technischen Maßnahmen zur Reduzierung von Hitzestress des Verbundprojekts beschrieben.

Verbundprojekt Hitzestress bei Rindern (Technische Maßnahmen)

Dachaufbauten

Der Einfluss unterschiedlicher Dachaufbauten auf den Wärmeeintrag in einen Stall ist groß. Je wärmer die Dachinnenseite, desto höher ist der Wärmeeintrag durch Strahlung in den Innenraum. In der Luft breitet sich Wärmestrahlung weitgehend ungehindert aus, so dass die Distanz zwischen erwärmter Dachfläche und Stallboden und damit die Gebäudehöhe nur eine geringe Rolle spielt. Im Rahmen der Simulationen konnte auch gezeigt werden, dass ein größeres Luftvolumen im Stall durch ein steileres Dach bei gleichem Luftwechsel keine Verbesserung hinsichtlich der Vermeidung von Hitzestress mit sich bringt.
Die Orientierung der Dachfläche zur Sonne und der Absorptionsgrad sind entscheidend für die im Dachaufbau aufgenommene Energiemenge. Der Absorptionsgrad ist umso höher, je dunkler und rauer eine Oberfläche ist. Die bauphysikalischen Eigenschaften der einzelnen Dachschichten beeinflussen die Höhe der Temperaturspitzen an der Dachinnenseite und deren Phasenverschiebung zum Einstrahlungsmaximum der Sonne.
Simulation der Hitzestressstunden bei Rindern in einem Milchviehstall bei verschiedenen Dachaufbauten für den Zeitraum vom 01. April bis 30. September.

Simulation der Hitzestressstunden in MV-Stall bei versch. Dachaufbauten für den Zeitraum vom 01. April bis 30. September.

Im Vergleich zeigen leichte, einschalige und ungedämmte Dachaufbauten aus Ziegeln, Faserzement oder Blech die höchsten Temperaturspitzen. Temperaturen von bis zu 60°C an der Dachinnenseite sind je nach Ausrichtung und Absorptionsgrad der Dachfläche möglich und sollten unbedingt vermieden werden. Die Temperaturspitzen treten nahezu zeitgleich mit dem Einstrahlungs- und damit dem Lufttemperaturmaximum im Außenbereich auf.
Zweischalige, hinterlüftete Dachaufbauten mit Holzschalung (24 mm) oder Sandwichelemente mit Wärmedämmung (40 mm) bleiben kühler und verhalten sich dabei annähernd gleich. Leichte Phasenverschiebungen sind hier bereits feststellbar. Bei der Wahl von Verbundwerkstoffen wie Sandwichelementen sollten erhöhte Entsorgungs- bzw. Recyclingkosten auf Grund erschwerter sortenreiner Trennung berücksichtigt werden.
Mehrschalige schwere Dachaufbauten mit Brettstapeldecken (100 mm) und Gründächer zeigen die niedrigsten Temperaturspitzen und die größten Phasenverschiebungen.
Gründächer
Eine Besonderheit hinsichtlich der Verringerung von Wärmespitzen stellen Gründächer dar. Diese bestehen in der Regel aus einer Dichtungsbahn mit Schutzschicht und einer Drän-, Filter- und Vegetationsschicht darüber. Bei Niederschlägen oder einer Bewässerung nehmen die Drän- und Vegetationsschichten Wasser auf, welches durch Verdunstung über Pflanzen und Substrat wieder an die Atmosphäre abgegeben wird. Dadurch werden die verschiedenen Schichten im Dachaufbau durch Verdunstung gekühlt, ohne die Luftfeuchtigkeit im Inneren des Stalls zu beeinflussen. Bei Milchviehställen ist in der Regel im Dach keine zusätzliche Wärmedämmung notwendig, so dass dieser Kühleffekt für den Innenraum nutzbar ist. Gleichzeitig beeinflusst die Vegetationsschicht in Abhängigkeit von Deckung und Pflanzenart den Absorptionsgrad des Dachs erheblich. Je nach Aufbau kann ein Gründach auch einen Beitrag zur Puffermasse des Innenraums leisten und so in Verbindung mit der Nachtauskühlung einen zusätzlichen positiven Einfluss auf die Temperaturspitzen im Stallinneren haben. Je höher und schwerer der Aufbau und je dichter die Vegetationsschicht, desto geringer sind die an der Unterseite des Dachs auftretende Temperaturen. Damit die hohe Masse des Gründachs möglichst wirkungsvoll an den Innenraum gekoppelt wird, sollte das Material der Dachschalung eine möglichst hohe thermische Leitfähigkeit haben und nicht zu dick sein. Übliche Holzschalungen haben sich hier bewährt. Dickere Holzschalungen (> 40 mm) oder Brettstapeldecken sind unter einem Gründachaufbau deshalb nicht empfehlenswert. Weiterhin besteht bei Brettstapeldecken unter einem Gründach die Gefahr, dass Feuchte, die während der Bauzeit in den Holzquerschnitt gelangt, auf Grund des großen Querschnitts nicht schnell genug wieder Austrocknen kann.
Abb. 2: Beispiel für einen Milchviehstall mit Gründach

Bild eines Milchviehstalls mit Gründach

Sonnenschutz

Ein direkter und großflächiger Sonneneintrag über Fassaden, Dachfirste oder Oberlichte in den Stall sollte vermieden werden.
Ausreichende Dachüberstände an den Fassaden reduzieren den solaren Energieeintrag erheblich, ohne den Luftwechsel zu beeinträchtigen. Dabei ist vor allem bei Ost- und Westfassadenflächen auf Grund der tief stehenden Sonne am Vor- bzw. Nachmittag bei hoher Strahlungsleistung eine sorgfältige Planung des Sonnenschutzes bzw. Dachüberstands notwendig.
Großflächige Dachoberlichte und Lichtfirste sind konstruktiv schwieriger zu verschatten als Fassadenflächen. Bei langen, schmalen Baukörpern mit geringen Gebäudetiefen, großzügigen Fassadenflächen und ohne störende Anbauten sind großflächige Dachoberlichte in der Regel nicht notwendig, weil die natürliche Belichtung über die Fassadenflächen ausreichend ist.

Fazit und Ausblick

Die bisher durchgeführten Simulationen zeigen, dass eine Vielzahl von Faktoren unterschiedlichen Einfluss auf das Stallklima eines Milchviehstalls haben. Ein Dachaufbau mit großem Puffervermögen, ausreichender Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung durch Dachüberstände und großzügige Fassadenöffnungen für einen hohen Luftwechsel sind die wichtigsten Merkmale, um den Hitzestress im Milchviehstall zu minimieren. Die von uns zum Teil in Praxisbetrieben gemessenen Temperaturspitzen mit einschaligen Dachaufbauten (z. B. mit Faserzement- oder Ziegeleindeckungen, Lichtplatten und Lichtfirsten, die tagsüber im Inneren sogar höher liegen als außen, können auf diese Art vermieden werden.
Darüber hinaus zeigen die Simulationen auch, dass passive Kühlmaßnahmen, wie das Bewässern von Gründächern und ein Lüftungsmanagement bei Stallgebäuden mit höherer Puffermasse vielversprechende Maßnahmen sind, um den Hitzestress in Stallgebäuden weiter zu reduzieren. Welche Verbesserungen dabei noch zu erreichen sind und ob diese Maßnahmen umsetzbar und praxistauglich sind, wird im Rahmen unserer Forschungsarbeit weiter untersucht.
Die Planung von Stallanlagen wird auf Grund der zunehmenden Hitzestressproblematik anspruchsvoller. Dies liegt zum einen daran, dass lokalklimatische Faktoren stärker berücksichtigt werden müssen, zum anderen an den wechselseitigen Abhängigkeiten von baulicher Hülle und installierter Technik. Als Entscheidungsgrundlage werden dabei neben den Baukosten auch die Betriebs- und Wartungskosten der Technik und, besonders bei Gründächern, die Umweltwirkung eine zunehmende Rolle spielen.

Projektinformationen
Projektförderung: StMELF
Finanzierung: StMELF
Förderkennzeichen: A/15/29
Projektlaufzeit: 01.07.2015 - 31.12.2018
Projektleiter: Jochen Simon
Projektbearbeiter: Peter Stötzel