Die Verbesserung der Ausdauer von Deutschem Weidelgras (Lolium perenne L.) unter bayerischen Bedingungen als Beispiel eines integrierten Arbeitsansatzes an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft

Improvement of persistence in perennial ryegrass (Lolium perenne L.) under the specific environmental conditions of Bavaria as an example of an integrated concept at the Bavarian Research Center for Agriculture

Ermittlung der genet. Diversität bei Deutschem Weidelgras mit molekularen Markern  (RAPD)

Abb. 1: Ermittlung der genet. Diversität bei Deutschem Weidelgras mit molekularen Markern (RAPD) (BOLARIC et al., 2005; pers. Kommunikation)

Zusammenfassung

Um bereits kurzfristig aus dem vorhandenen Sortenpool die zur Zeit zutreffenste Beratungsempfehlung geben zu können, werden in Ausdauerprüfungen die besten am Markt verfügbaren Sorten herausgefiltert. Bedingt durch die Situation auf dem Grassamenmarkt ist weiterhin kaum mit einer Stärkung kommerzieller Züchtungsanstrengungen ausgerichtet an den spezifischen regionalen Bedürfnissen Bayerns zu rechnen. Für die nachhaltige, stabile, aber auch wirtschaftliche Nutzung großer Grünlandflächen in Bayern sind an die Region angepasste Sorten jedoch von hoher Bedeutung. Mittelfristig wird diese Lücke im Sortenspektrum durch eigene Züchtungsanstrengungen der Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) verkleinert. Erste Zuchterfolge zeigen das mögliche Ausdauerpotential regional angepasster Sorten auf. In einem sehr langfristigen Ansatz schließlich dienen Arbeiten zur konkreteren Zuchtzielbestimmung des komplexen Merkmals „Ausdauer“ und zur Verbesserung der Selektionsmethoden der Optimierung und Erleichterung von Züchtungsprogrammen, die einen Schwerpunkt auf dieses Merkmal legen. So muss zum Beispiel die Bedeutung von Rostanfälligkeit und Reifegruppe zumindest auf die Ausdauerleistung in den Höhenlagen Bayerns deutlich überdacht werden. Was wiederum langfristige Auswirkungen auf die Neukonzeption von Zuchtgängen oder die Sortenempfehlung für diese Bereich haben wird.
Summary (English)
First part of this concept is to find out registered cultivars out of the current pool that should be recommended. Therefore all cultivars available on the market are ranked according to their results in our tests of persistence under the specific environmental conditions of Bavaria. Considering the current situation on the market of forage-seed, also in future only few commercial efforts should be taken to breed for cultivars that are specifically adapted to the Bavarian environment. However, cultivars well adapted to this region are of great importance for the sustainable, but also economically efficient use of major parts of grassland in Bavaria. The second part of the concept consists of our own breeding program at the Bavarian Research Center for Agriculture (LfL) in order to close this gap in our spectrum of available cul-tivars. New breeds clearly show the genetic potential of persistence of cultivars adapted to this region. The third part of our concept is focused on the detailed description of this complex feature “persistence”. In addition, the methods of selection should be improved in order to increase the efficiency of breeding for persistence as a consequence. For example our studies revealed no effect of rust resistance and day of heading on persistence in the higher regions of Bavaria. In the long run this will lead to significant changes in our new breeding programs and in the recommendation of cultivars for this area.

Einleitung und Problemstellung

Das Deutsche Weidelgras ist die wichtigste und ertragreichste Gräserart in den gemäßigten Klimaten allgemein (MATTHES, K., 1986) und speziell auch in Deutschland (PFEFFER, B. u. PFEFFER, H., 1991). Dies drückt sich z. B. bereits in den Einstufungen durch DE VRIES et al. (1942) und KLAPP et al. (1953) aus. Ursprünglich, wahrscheinlich aus dem Mittelmeergebiet stammend, wird es nachweislich seit 1677 in England planmäßig angebaut. Heute ist es fast in allen gemäßigten Klimazonen der Erde zu finden (RIEDER, J.-B. 1983, HOFFMANN, W., 1985).
In Bayern werden jährlich rund 1.200 t Saatgutmischungen für Dauergrünland verkauft. Etwa ein Drittel davon enthält in höheren Anteilen Deutsches Weidelgras. Diese Menge reicht bei 36 kg/ha Saatstärke für etwa 33.000 ha Neuansaat. Mit steigendem Anteil von Über- oder Nachsaaten mit Saatstärken zwischen ca. 8 – 24 kg/ha bedeutet das entsprechend mehr Hektar Grünlandüber- und nachsaaten. Bedingt durch die erhöhten Anforderungen seitens der Tierernährung ist dieser Anteil stetig im Zunehmen begriffen. Deutsches Weidelgras vereinigt wie keine andere Art eine Reihe von Vorteilen: Hoher Ertrag und hohe Futterqualität bei rechtzeitiger Nutzung, gute Beweidungseignung, Vielschnittverträglichkeit und sehr gute Verwertung von Gülle. Es ist damit die Gräserart, die eine Intensivierung der Grünlandbewirtschaftung am besten dankt - ja sogar eine intensive Bewirtschaftung (4 Schnitte und mehr) in der Konkurrenz zu den anderen Gräsern im Bestand braucht, um sich unter sonst günstigen Bedingungen zu halten (RIEDER, J.-B. 1983).
Auswinterung im Zuchtgarten GräserZoombild vorhanden

Auswinterung im Zuchtgarten

Auch weltweit zählt es zu den am intensivsten züchterisch bearbeiteten Futtergräsern. Daraus resultiert eine große Sortenvielfalt. So werden jährlich ca. 30 neue Stämme beim Bundessortenamt zur Wertprüfung angemeldet. Die aktuelle "Beschreibende Sortenliste" des Bundessortenamtes (BSA) umfasst zurzeit 269 Sorten, aufgeteilt in 122 Rasen- und 147 Futtergräser (BUNDESSORTENAMT 2011, BUNDESSORTENAMT 2012). Naturgemäß werden in ihr Daten aus ganz Deutschland zusammengeführt. Spezielle Eignung für die Besonderheiten, bezüglich Klima und Boden in Bayern, können so dabei nur ungenügend wiedergespiegelt bzw. berücksichtigt werden. Weiterhin sind auf dem für Grassamen typischen Weltmarkt und der dortigen Marktsituation (KLEY 1999, ANGENENDT 2000), große Tonnagen pro Sorte erforderlich, um diese zu einem kommerziellen Erfolg zu führen. Betrachtet man schließlich, die im Vergleich zu Getreide sehr geringe Zahl der in diesem Bereich tätigen Züchter in Deutschland, wird deutlich, dass eine kommerzielle Züchtung mit direkter Ausrichtung auf die besonderen klimatischen Eigenschaften und Böden Bayerns (oder auch Österreichs bzw. der Schweiz) nicht lohnend scheint.
Gerade für das Dauergrünland Bayerns sind aber Winterfestigkeit und Ausdauer unter den regionalen Bedingungen eine entscheidende, wenn nicht die wichtigste Eigenschaft ausdauernder Gräserarten. Diese Ausdauerleistung wird aber zum Beispiel in Höhenlagen über 600 m mit manchmal dreimonatiger Schneebedeckung und bei extremen Spätfrösten anders gefordert, als im Durchschnitt der in Deutschland vorhandenen Versuchsorte oder gar in den günstigen Naturräumen Norddeutschlands, der Niederlande, Großbritanniens oder Frankreichs.
Wie in Abbildung 1 zu sehen, haben sich im Laufe der Züchtung und Evolution Untergruppen gebildet. Neben den Rasentypen des Deutschen Weidelgrases sind auch andere Zuchtsorten genetisch relativ weit entfernt von bayerischen Sorten. Man kann somit davon ausgehen, die verschiedenen Genpoole, wie der bayerische, an die jeweils typischen Bedingungen im Ursprungsgebiet, am besten angepasst sind.

Collage Frost, Winter, Schneeschimmel Gräser

Lösungsansätze

Um nun der Bayerischen Landwirtschaft möglichst gut angepasste Sorten zur Verfügung zu stellen und damit diese naturgegebenen Nachteile ausgleichen zu können, werden von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft folgende Lösungsansätze verfolgt:
  • Auswahl der besten auf dem Markt vorhandenen Sorten, um bereits kurzfristig aus dem vorhandenen Sortenpool die zurzeit zutreffendste Beratungsempfehlungen geben zu können.
  • Züchtung besonders angepasster Sorten, damit der Zwang zur permanenten Nachsaat und der damit verbundenen wiederholten Schädigung der Grünlandnarben entgegengewirkt werden kann.
  • Ableitung von Sortenprofilen (Idiotypen) zur Optimierung der weiteren Sortenberatung und -züchtung aus Versuchen zur natürlichen Selektion, womit die Züchtung auf geeignete Genotypen erleichtert und damit verbilligt wird.

Züchtung besonders angepasster Sorten

In Zusammenarbeit mit den Ämtern für Landwirtschaft und Ernährung wurden 1983 intensiv bewirtschaftete Dauergrünlandflächen ausgewählt, auf denen seit mindestens 15 Jahren keine Nach- oder Übersaat erfolgt war. Im Frühjahr und Herbst 1983 erfolgte auf diesen Flächen eine Sammlung von Ökotypen wobei der Schwerpunkt bei den Arten Deutsches Weidelgras (Lolium perenne), Knaulgras (Dactylis glomerata), Wiesenschwingel (Festuca pratensis), Wiesenrispe (Poa pratensis), Wiesenlieschgras (Phleum pratense) und Wiesenfuchsschwanz (Alopecurus pratensis) lag. Diese Ökotypensammlung wurde initiiert von Helmut Scheller (geb.:1933 gest.:2008, bis 1997 Leiter der Arbeitsgruppe Futterpflanzen in den Vorgängerinstitutionen der LfL).
1983 bis 1994 wurden aus dieser Sammlung über Klonbeobachtungen, Parzellenprüfungen und Resistenztests in Labor und Gewächshaus (SCHELLER 1993) erfolgversprechende Genotypen selektiert und gezielt zur Erzeugung von synthetischen Sorten herangezogen.
Die hieraus gewonnenen Stämme kamen danach nochmals an den Standorten der bayerischen Landessortenversuche mit der Versuchsfrage „Überprüfung der Anbaueignung von Sorten des Deutschen Weidelgrases in Grenzlagen“, also sogenannte „weidelgrasunsichere Lagen“. Das sind Gebiete, mit Höhenlagen ab etwa 500 m über NN und entweder sehr kalten Wintern und/oder länger andauernden Schneebedeckungen. In diesen Gebieten überleben größere Anteile an Deutschem Weidelgras in Mischungen für Neuansaat oder Nachsaat i.d.R. schon keine 2 – 3 Jahre. Durch die folgende Lückenbildung und Verschlechterung der Bestandeszusammensetzung lässt dann die Qualität des Grünlandes deutlich nach. Dies trifft immer noch auch für die derzeit für diesen Raum besonders empfohlenen und auf diese Eigenschaft hin ausgewählten Sorten zu.
Als weitere wichtige Zuchtziele sind „Massenbildung im Anfang“ und „Narbendichte“ zu nennen. Gerade für Nachsaaten ist das Merkmal „Massenbildung im Anfang“ sehr wichtig, da die Nachsaaten sich gegen die Konkurrenz der bestehenden Narbe schnell etablieren müssen. Das Merkmal „Narbendichte“ hat aufgrund der unkrautun-terdrückenden Wirkung, arbeitswirtschaftliche Vorteile im Bezug auf den Pflanzen-schutz.
Die Sorte Ivana ist das erste Ergebnis dieses Zuchtganges und seit 2002 zugelassen.
Wie Abbildung 2 verdeutlicht, liegt diese Sorten bezüglich ihres Ausdauervermögens erheblich über der Leistung der damaligen Standards (wie z.B. Citadel, Stratos, Phoenix oder Respect). Es ist somit durch die dargestellten Zuchtanstrengungen der LfL gelungen, Stämme zu gewinnen, die bezüglich ihrer Winterhärte und Ausdauerleistung für einen wichtigen Teil der Grünlandstandorte Bayerns einen deutlichen Zuchtfortschritt darstellen und gerade für die Landwirtschaft in höheren Lagen Vorteile bieten. Seit ihrer Zulassung dient sie in den Sortenprüfung auf Eignung in Höhenlagen Bayerns als Referenzsorte. Erst 2012 erreichte mit der Sorte Arvicola (Ursprungszüchter ART-Agroscope/CH) eine weitere Sorte die Einstufung in die gleiche Ausdauerklasse.
Weitere Ergebnisse der Ökotypensammlung in Bayern waren die Zulassung der Sorte Nixe (WRP) Husar und Horizont (beide KL).

Entwicklung des Anteils an Dt. Weidelgras zwischen 1997 (3. HNJ) und 2001 (7. HNJ) (VNr. 405 Anlage 1994)

Abb. 2: Entwicklung des Anteils an Dt. Weidelgras zwischen 1997 (3. HNJ) und 2001 (7. HNJ) (VNr. 405 Anlage 1994)

Aktuelle Arbeiten sollen den Bayerischen Genpool fit machen für die Anforderungen des Klimawandels:

  • Das höheres Risiko (sowohl bezüglich Stärke wie auch Häufigkeit) des Rostbefalls insbesondere bei Deutschem Weidelgras wird in einem eigenem Zuchtprogamm bearbeitet.
  • Das höhere Risiko (sowohl bezüglich Dauer wie auch Intensität) von Trockenperioden im Vegetationsverlauf (besonders Vorsommertrockenheit) wird in einem aktuellen Projekt (siehe Link) bearbeitet.
  • An der Anpassung der trockenheitsverträglichen Art Wiesenschwingel an die höheren Bewirtschaftungsintensitäten der bayerischen Betriebe durch die Erweiterung der genetischen Variabilität des Genpools wird ebenfalls innerhalb eines Projekt gearbeitet.
Literatur
ANGENENDT, HANS-PETER, 2000: Auktuelles aus der Wirtschaft, Tagungsband 42. Fachtagung des DLG-Ausschusses „Gräser, Klee und Zwischenfrüchte“, S. 55-60, DLG Frankfurt
BUNDESSORTENAMT, 2011: Beschreibende Sortenliste Futtergräser, Esparsette, Klee, Luzerne 2011; Hannover, S. 36-54
BUNDESSORTENAMT, 2012: Beschreibende Sortenliste Rasengräser; Hannover, S. 27-45
BOLARIC, S, BARTH, S, MELCHINGER, A.E., POSSELT, U.K., 2005: Molecular genetic diversity within and among German ecotypes in comparison to European perennial ryegrass cultivars; Plant Breeding, v. 124, S. 257–262
HOFFMANN, WALTHER (Hrsg.), 1985: Lehrbuch der Züchtung landwirtschaftlicher Kulturpflanzen - Bd. 2: Spezieller Teil; 2. Auflage, Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg, 434 Seiten
KLAPP, E. BOEKER, P. KÖNIG, F. UND STÄHLIN, A., 1953: Wertzahlen der Grünlandpflanzen, Grünland 2, S. 8-40
KLEY, GISBERT 1999, Auktuelles aus der Wirtschaft, Tagungsband 41. Fachtagung des DLG-Ausschusses „Gräser, Klee und Zwischenfrüchte“, S. 47-50, 55-60, DLG Frankfurt
MATTHES, Kurt, 1986: Beziehungen zwischen Sortencharakter und den Gehalten wasserlöslicher Kohlenhydrate sowie verschiedener Strukturbestandteile bei der Art Lolium perenne L.; Dissertation, Universität Hohenheim
PFEFFER, B. und PFEFFER, H., 1991: Resistenzzüchtung bei Gräsern unter besonderer Berücksichtigung der Lolium-Arten; Vorträge für Pflanzenzüchtung 1991, v. 19, S. 86-97
RIEDER, J.-B. 1983: Dauergrünland, BLV Verlagsgesellschaft, Frankfurt, 192 Seiten
SCHELLER, HELMUT, 1993: Erarbeitung einer Selektionsmethode zur Verbesserung des Merkmals „Frostresistenz“ bei wichtigen Gräserarten (Lolium perenne, Phleum pratense, Dactylis glomerata) und Rotklee speziell unter den klimatischen Bedingungen Deutschlands, GFP-Abschlussbericht, Bonn, S. 30
VRIES, D.M. DE, EN’T HART, M.L., 1942: Een waardeering van grasland op grond van de plant-kundige samenstelling, Landbouwk. TiJd schrift 54, S. 245-265