Futteraufnahme bei der Milchkuh gezielt abschätzen (Teil 2)

Kühe am Fressgitter Grub

Im Rahmen der Rationsplanung ist die Schätzung bzw. Vorhersage der Futteraufnahme von elementarer Bedeutung. Im ersten Teil des Beitrages wurden die grundsätzlichen Einflussfaktoren auf die Futteraufnahme nach Auswertung von Versuchsdaten von Kühen mit Einzeltierfütterung dargestellt.

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit den Anforderungen an die Kalkulationsprogramme und dem Vorgehen bei der Rationsplanung. Es berichten Dr. Martin Pries von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Münster und Dr. Hubert Spiekers von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Grub.

Schätzgleichungen

Für die Anwendung der neu entwickelten Schätzgleichungen zur Bestimmung der Futteraufnahme müssen folgende Daten bekannt sein:

  • vom Tier
    • Rasse (Fleckvieh, Braunvieh, Holstein)
    • Lebendmasse (kg)
    • Laktationsnummer (1; 2 - 3; >3)
    • Laktationstag
    • Milchleistung (kg Milch je Tag)
  • vom Futter
    • Energiedichte im Grobfutter (MJ NEL je kg TM)
    • Kraftfutter (Verzehr (kg TM je Tag); Anteil in der Ration (% der TM))
    • Anteile Heu, Maissilage und Grünfutter* (% der TM-Grobfutter)
    • Rohproteingehalt* (g XP/MJ NEL)
  • vom Betrieb
    • Region (Deutschland/Österreich, Schweiz)
    • Managementniveau (mittel, hoch)
    • Fütterungssystem (getrennte Vorlage, Mischration)
Da die Informationen verschieden verfügbar sind, wurden insgesamt acht verschiedene Gleichungen zur Schätzung der Futteraufnahme abgeleitet, von denen der DLG-Arbeitskreis Futter und Fütterung die Gleichung 1 bei getrennter Vorlage und die Gleichung 5 bei TMR empfiehlt.

Schätzgleichungen zur Futteraufnahme der DLG pdf 265 KB

Grafik: Laktationskurven bei unterschiedlicher MilchleistungZoombild vorhanden

Abb. 1: Laktationskurven bei unterschiedlicher Milchleistung für Färsen und Kühe, Auswertung des LKV-Bayern

Die Gleichungen sind sehr komplex und nur über entsprechende, computergestützte Rationsprogramme anzuwenden. Eine Differenzierung der Anteile Heu und Grünfutter sowie die Einbeziehung des Rohproteingehaltes ist nur bei Rationen mit sehr hohen Anteilen an Heu oder Grünfutter bzw. sehr niedrigen Rohproteingehalten erforderlich.

In allen Gleichungen wird zwischen Grob- und Kraftfutter unterschieden. Grobfutter sind definitionsgemäß alle frischen, silierten oder getrockneten Ganzpflanzenprodukte sowie Cobs und Stroh mit hoher Strukturwirksamkeit. Als Kraftfutter gelten Einzelkomponenten und Mischfutter mit einem Energiegehalt größer 7,0 MJ NEL/kg TM. Energiereiche Saftfutter (z.B. Biertreber, Pressschnitzel, Kartoffeln etc.) sind unter die Kraftfutter einzuordnen.

Laktationsstand hat größte Bedeutung

In allen Schätzgleichungen kommt dem Laktationsstand eine überragende Bedeutung für die Futteraufnahme zu, da fast alle weiteren Faktoren hiervon beeinflusst sind. Aufgabe der Rationsplanung und -berechnung sind Festlegungen über die zu verfütternden Kraftfuttermengen bei vorgegebenen Milchleistungen. Die tägliche Milchmenge einer Kuh ist ebenfalls sehr stark vom Laktationsstadium abhängig, woraus sich typische Laktationskurven ergeben. Tiere der ersten Laktation haben einen grundsätzlich anderen Kurvenverlauf wie die Tiere in den höheren Laktationen, so dass getrennte Kalkulationen vorzunehmen sind. Zu beachten ist hierbei, dass die Leistung in der ersten Laktation um etwa 15 % niedriger liegt als in den weiteren Laktationen. Auswertungen des LKV Bayern zeigen ähnliche Kurvenverläufe für Fleckvieh (siehe Abb. 1). Für eine Herde mit 8.000 kg Jahresleistung wird dabei empfohlen, für Färsen die Kurve mit 7.500 kg Jahresleistung und für Kühe mit 8.500 kg heranzuziehen. Bei anderen Leistungen ist entsprechend zu verfahren.
Betriebsindividuelle Laktationskurven bzw. die konkreten Daten der Einzelkuh, die aus der Milchleistungsprüfung zur Verfügung gestellt werden sollten, erlauben eine bessere Anpassung an die betrieblichen Gegebenheiten und sollten deshalb vorzugsweise genutzt werden.
Zu Beginn der Laktation eilt die Milchleistung der bedarfsgerechten Futteraufnahme weit voraus, wodurch sich in der Regel negative Energiebilanzen ergeben und ein Abbau von Körperreserven unvermeidbar ist. Diese Reserven sind in der zweiten Laktationshälfte wieder aufzufüllen und der Bedarf für Trächtigkeit sowie Wachstum bei Färsen abzudecken. In den Berechnungsprogrammen sollten die NEL-Bilanzen im Laktationsverlauf ausgewiesen werden, um die Nährstoffversorgung der Tiere besser beurteilen zu können. In der Tab. 1 werden Empfehlungen zu den angestrebten NEL-Bilanzen ohne Berücksichtigung des Auf- und Abbaus von Körperreserven gegeben. Gerade zu Laktationsbeginn ist es wichtig, das Einschmelzen von Körperreserven auf etwa 500 g/Tag entsprechend einer Energiefreisetzung von 10 MJ NEL/Tag zu beschränken.
Tab. 1: Angestrebte Energieversorgung ; NEL-Bilanz (Aufnahme-Bedarf für Erhaltung und Milch ohne Auf- und Abbau von Körpermasse (MJ NEL/Kuh und Tag)
LaktationsabschnittFärsenKühe
bis 70. Tagnegativ*negativ*
70.-150. Tag+/- 0+/- 0
150.-250. Tag+ 5**+/- 0
> 250. Tag+ 10**+ 5**
* maximal -10 MJ NEL; ** Zuschlag für Wachstum, Kalb, Energieausgleich

Kraftfutterzuteilung

In der bisherigen Beratungspraxis wurden die Futteraufnahme und die erforderlichen Kraftfuttermengen überwiegend auf Basis einer DLG-Formel aus dem Jahr 1986 geschätzt. Diese Formel berücksichtigt die Lebendmasse der Tiere, die Energiedichte des Grobfutters sowie die Aufnahme an Kraftfuttertrockenmasse. Ein Vergleich von Berechnungsergebnissen nach den neuen Schätzgleichungen liefert im Hinblick auf Futteraufnahme und Kraftfutterzuteilung in Abhängigkeit des Laktationsstandes ein differenziertes Bild. Zu Laktationsbeginn führen die neuen Schätzgleichungen zu etwas höheren Kraftfutterzuteilungen, die im Sinne von möglichst geringen Energiedefiziten in dieser Phase durchaus zu begrüßen sind. Die Einhaltung der Kriterien, die die Wiederkäuergerechtigkeit beschreiben, ist deshalb eine besondere Herausforderung für die Programmbenutzer. Für die zweite Laktationshälfte liefern die neuen Schätzgleichungen deutlich höhere Futteraufnahmevorhersagen mit der Folge von reduzierten Kraftfuttergaben. Darüber wird der bestehenden Verfettungsgefahr im letzten Laktationsdrittel entgegengewirkt. In der Rationsplanung ist ferner das Managementniveau einzubeziehen, um die Unterschiede zwischen den Betrieben zu fassen.

Zuteilungstabellen für Kraftfutter bei Fleckvieh und Braunvieh pdf 763 KB

In den Tabellen wird für unterschiedliche Grobfutterqualitäten und Laktationsstadien die erforderliche Menge an Kraftfutter kalkuliert.
Trotz aller Fortschritte in der Abschätzung der Futteraufnahme und der Festlegung der Kraftfuttermenge besteht nach wie vor die Forderung nach einer gezielten Rationskontrolle. Diese umfasst die Bestimmung der tatsächlichen Futteraufnahme, die Überprüfung der Wasserversorgung, die Beurteilung der Körperkondition, die Leistungskontrolle sowie die Überwachung des Allgemeinbefindens der Tiere und der Konsistenz des Kotes. Ziel ist das frühzeitige Erkennen bzw. Vermeiden von Fehlern und Funktionsstörungen.

Fazit

  • Für die Rationsplanung und -berechnung müssen Daten vom Tier, vom Futter und vom Betrieb zur Verfügung stehen.
  • Vom Tier sind besonders wichtig die Informationen zur Milchmenge und zum Laktationsstand. Stehen diese Daten nicht betriebsindividuell zur Verfügung, ist mit Standardlaktationskurven zu arbeiten.
  • Beim Futter ist zwischen Grob- und Kraftfutter zu differenzieren. Energiereiche Saftfutter sind dem Kraftfutter zuzuordnen.
  • Vom Betrieb muss das Fütterungssystem und die Qualität des Futtertischmanagements bekannt sein.
  • Die Anwendung der neuen Schätzgleichungen führt zu einer besseren Abschätzung der Futteraufnahme in der Frühlaktation und ermöglicht reduzierte Kraftfuttergaben zum Laktationsende.

Hinweis

Seit Februar 2006 wird an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub die Anwendbarkeit der Schätzgleichungen in einem Fütterungsversuch getestet. Von besonderem Interesse ist dabei der Einfluss des Managementniveaus auf die Futteraufnahme beim Fleckvieh. Das Managementniveau wurde bisher nur bei Tieren der Rasse Holstein in den Schätzgleichungen berücksichtigt.