LfL-Jahresbericht 2018: Biodiversität
Der Schutz alter Sorten ist Staatsauftrag

Ähren

Die Sortenvielfalt bei Kulturpflanzenarten und Nutztierrassen hat auch in Bayern in den letzten 100 Jahren stark abgenommen. Mit dem Verlust dieser Vielfalt verarmen die historisch gewachsenen Kulturlandschaften und es geht ein für die Züchtung unverzichtbares genetisches Potenzial verloren. Das Bayerische Biodiversitätsprogramm der Staatsregierung fordert ressortübergreifende Maßnahmen zum Erhalt der landwirtschaftlichen pflanzengenetischen Ressourcen in Bayern.
Die LfL fördert am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung (IPZ) in mehreren Projekten den Schutz dieser sogenanntenalten Sorten. Neben dem Erhalt geht es auch um deren wirtschaftliche Nutzung und langfristig um den Ausbau von LfL-Betrieben zu Erhaltungszentren für Pflanzengenetische Ressourcen.

Zahlen und Fakten

Ein Gespräch mit Dr. Klaus Fleißner, Sortenschützer und Experte für pflanzengenetische Ressourcen

Bayern besitzt immer noch viele regional angepasste, aber stark bedrohte Kulturpflanzensorten. Um sie nachhaltig zu sichern, müssen die Zuchtbestände der Sorten vergrößert und bestehende Genbanken langfristig gesichert werden. Am IPZ arbeitet Dr. Klaus Fleißner seit 2015 für die Rettung historischer, bayerischer Kultursorten. Die erste grundlegende Sammlung von landwirtschaftlichem Sortenmaterial umfasst mehr als 750 alte bayerische Sorten von 23 verschiedenen landwirtschaftlichen Kulturarten.
Agrobiodiversität, alte Sorten und neue Potenziale
Bis 2018 wurden davon bereits 568 von der nationalen Genbank des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben angefordert, gesichtet und charakterisiert. 124 alte Sorten wurden schon erfolgreich in Parzellen auf ihr Ertragspotential untersucht und 20 davon in geringem Umfang vermehrt. Dr. Fleißner will die alten Sorten aber nicht nur aufs Feld, sondern auch zu den Landwirten und auf den Markt bringen. Darum versucht er, Landwirte, Züchter, Müller, Bäcker und die bayerische Gastronomie für alte Sorten zu begeistern. Der Erfolg gibt ihm Recht.
Gespräch im Detail

Herr Dr. Fleißner, seit 2015 arbeiten Sie nun für den Erhalt alter bayerischer Kultursorten. Am Anfang wussten Sie gar nicht, was es da zu erhalten gilt.

Zeichnung eines Mehlsacks
Tatsächlich mussten wir erst einmal zusammentragen, was es überhaupt noch irgendwo gibt. Meine Kollegin Dr. Barbara Eder hatte zwar am Beispiel Mais mit den alten, sogenannten Landsorten schon Pionierarbeit geleistet, aber wir mussten bei Getreide, also Weizen, Gerste, Hafer, Roggen, Dinkel, aber auch bei Leguminosen, Kartoffeln, Linsen, Rüben oder Hopfen zum Teil bei Null anfangen. Unsere erste Anlaufstelle war das Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK). Dort lagern in einer der größten und ältesten Genbanken mehr als 150.000 Muster von fast 3.000 Arten aus fast 800 Gattungen, ein riesiger Schatz! Aber das war noch nicht alles.
Wir haben alte Bücher gewälzt, Sortenlisten aus der Zeit vor 1930 studiert, ich selbst bin zu Saatgutfesten und zu den zahlreichen Vereinen und Verbänden zur Erhaltung alter Nutzpflanzen, um weitere alte Sorten zu entdecken. Und schließlich musste alles abgeglichen werden. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Wir haben mehr als 750 alte Sorten für Bayern zusammengetragen und eine Datenbank erstellt, die alle relevanten Informationen zu jeder Sorte sammelt.

Das war aber eigentlich erst der Ausgangspunkt Ihrer Arbeit.

Damit ist natürlich noch keine einzige Sorte gerettet. Pflanzen sind lebende Organismen, die an der Evolution teilhaben müssen. Sie werden nicht überleben, wenn Sie nur gekühlt oder eingefroren in der Genbank bleiben. Mit dem Sichtungsanbau, den wir durchführen, wollen wir die Sorten vital erhalten und gleichzeitig ihre Eigenschaften in der Praxis kennenlernen. Außerdem entsteht Saatgut, das ich an sogenannte Schatz-Bewahrer, also Landwirte, die sich der alten Sorten annehmen, weitergeben kann. So leben die Sorten wieder auf und kommen dahin, wo sie eigentlich hin sollen: zum Bauern und auf sein Feld.

Landwirte als Schatz-Bewahrer, alte Sorten mit so drolligen Namen wie Schwäbischer Dickkopf, das klingt nach rührigem Heimatmuseum.

Ich bin mir bewusst, dass ich in einer Nische arbeite. Und natürlich habe ich bei meiner Arbeit ein bisschen was von einem Missionar. Das heißt aber nicht, dass unsere Arbeit nicht relevant oder rückwärtsgerichtet wäre, im Gegenteil. Die Erhaltung der Agrobiodiversität, also die Biodiversität für Ernährung und Landwirtschaft ist ein hohes Gut und angesichts der zahlreichen umweltrelevanten Herausforderungen wie Klimawandel oder Bodenerosion wird die Agrobiodiversität in einer sich wandelnden Landwirtschaft noch an Aktualität gewinnen. Das gilt es der Öffentlichkeit zu vermitteln! Nicht umsonst gibt es in Folge der Biodiversitätskonvention für die globale Landwirtschaft zahlreiche internationale Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Im Grunde setzen wir mit unserer Arbeit für Bayern und im Rahmen des Bayerischen Biodiversitätsprogramms lediglich Verpflichtungen aus internationalen Abkommen wie dem Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft um. So gesehen erfüllen wir einen Staatsauftrag.

Alte Sorten haben neben dem genetischen auch ein wirtschaftliches Potenzial und könnten Landwirten neue Erwerbsmöglichkeiten bieten.

Alte Sorten sind "in" und das bietet tolle Möglichkeiten bei der Vermarktung. Ein sehr gelungenes Beispiel ist die Erfolgsgeschichte des Laufener Landweizens, den Sie mittlerweile fast in jedem bayerischen Bioladen finden können. Diese uralte Weizensorte stammt aus dem Rupertiwinkel und wurde von Heinz Marschalek, einem unserer Pioniere, in der IPK-Genbank wiederentdeckt. Er hat mit exakt vierzig Körnern begonnen den Laufener Landweizen anzubauen und das Saatgut zu vermehren. Erst 20 Jahre später erkannten zunehmend mehr Landwirte das Potenzial des Laufener Landweizens. Heute ist er Archepassagier bei Slow Food und wird dank seiner guten Backeigenschaften und dem ausgezeichneten Geschmack von mehreren Bäckereien in Bayern und dem Salzburger Land täglich zu Brot verarbeitet.
Außerdem brauen zwei Brauereien hervorragendes Weißbier mit dem Laufenden Landweizen. Solche Entwicklungen sind ganz wichtig, denn für Nutzpflanzen gilt generell: Was nicht verarbeitet, gekauft und gegessen wird, ist letztlich vom Aussterben bedroht.

Ihre gesamte Arbeit für alte Sorten wird von anderen Pflanzenzüchtern trotzdem kritisch gesehen.

Ja, das ist schon der Fall. Aber eigentlich gibt es keinen Grund dafür. Die Anbauflächen werden immer überschaubar bleiben, gleichzeitig, und das möchte ich betonen, bieten sich für die Züchter viele neue Möglichkeiten. Moderne Pflanzenzüchtung findet derzeit fast nur noch in der Isolation des Labors und auf den Flächen der großen Saatgutfirmen statt. Unter anderem mit unserer Vorarbeit können Pflanzenzüchter den Landwirten ihr Wissen und ihre Dienste bei der Erhaltungszucht alter und der Selektion neuer Linien anbieten, natürlich gegen eine angemessene Bezahlung. Ich würde mir generell wünschen, dass die Pflanzenzüchtung langfristig wieder dorthin zurückkehrt, wo sie hingehört, zu den Landwirten und ihren Anbauflächen. Und das nicht nur in Bayern, sondern weltweit.

Impressionen und Infos

Mikroskopaufnahme

Die Bayerische Rübe

Ähren

Ähren der Landweizen-Sorte "Laufener"

Brotanschnitt

Aus dem Backlabor

Menschen stehen an einem Messestand

Saatgutfestival