Jahresbericht der LfL 2019: Nutztiere
Tierhaltung der Zukunft – Fokus Klima

Die Nutztierhaltung ist für die bayerische Landwirtschaft von enormer Bedeutung. Fast 70 Prozent der Verkaufserlöse der bayerischen Landwirtschaft kommen aus der Nutztierhaltung, darüber hinaus ist Bayern in Deutschland das Milchland Nummer Eins. Umso heftiger treffen derzeit Bayerns Landwirte die zum Teil drängenden Fragen zur Tierhaltung. Im Mittelpunkt mder Kritik stehen neben dem Tierwohl und dem Verbrauch natürlicher Ressourcen vor allem auch die Umweltauswirkungen durch Emissionen. Die LfL stellt sich dem Thema Emissionen auf vielfältige Weise.
Während man im Institut für Landtechnik und Tierhaltung an der Reduktion von Emissionen mit praktischen technischen Lösungen beim Landwirt vor Ort arbeitet, analysiert man am Institut für Betriebswirtschaft und Agrarstruktur die über den Einzelbetrieb hinausgehenden komplexen Strukturen, in denen heute Landwirtschaft betrieben wird. Langfristig sollen nachhaltige und ganzheitliche Betriebssysteme entwickelt werden, die Ziele wie Tierwohl, Ökologie, Ökonomie und Klimaschutz gleichermaßen berücksichtigen.

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Ein Gespräch mit Dr. Monika Zehetmeier und Dr. Stefan Neser Nutztierhaltung im Zeichen der Klimadebatte

Frau steht an LaptopZoombild vorhanden

Basisarbeit vor Ort: Datenerhebung von Treibhausgasen im Milchviebetrieb

Frau Dr. Zehetmeier, die Klimadebatte hat die bayerische Stalltüre erreicht. Landwirte haben es gerade nicht leicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Sie beschäftigen sich schon seit einigen Jahren mit den ökonomischen und ökologischen Folgen von Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen. Wie schätzen Sie die Rolle der Landwirtschaft in dieser Hinsicht ein?
Zwei grundsätzliche Dinge muss ich voraus schicken, weil es in der Debatte immer wieder vergessen wird: Erstens erfüllt die Landwirtschaft keinen Selbstzweck, ihre große Aufgabe ist es, Menschen mit Nahrung zu versorgen. Zweitens haben wir es in der Landwirtschaft mit biologischen Prozessen zu tun, Nullemissionen sind daher nicht möglich. Die Nutztierhaltung, vor allem die Rinderhaltung, hat – und hier sind wir beim Grundproblem in Bezug auf das Klima – einen erheblichen Anteil an dem weltweit emittierten Treibhausgas (THG). In Deutschland trägt die Landwirtschaft mit einem Anteil von acht bis 13 Prozent zu den Gesamtemissionen an Treibhausgasen bei, in Bayern sind es sogar 17 Prozent. Dass wir hier runter müssen, ist unstrittig. Aber wie und mit welchen Mitteln und unter welchen Bedingungen für die Landwirte lässt sich das erreichen?
Hier setzt unsere Forschung an. Die Arbeitsgruppe "Modellgestützte Analysen und Entwicklungsabschätzung" an unserem Institut betrachtet die Klimabilanz nie isoliert und nur auf einen Aspekt optimiert. Wir wollen eine Bewertung von Auswirkungen auf Ökonomie, Soziales und Umwelt; sowohl auf Ebene der Produktionsverfahren, des Betriebs, als auch auf regionaler und überregionaler Ebene. Dazu führen wir die Ergebnisse vieler Einzeldisziplinen und vieler Institutionen zusammen, von der LfL selbst bis hin zu nationalen und internationalen Organisationen und Forschungseinrichtungen. Großes Ziel ist es, ebenso umfassende wie praktikable Modelle für Forschung, Politik und Praxis zu entwickeln.
Herr Dr. Neser, Sie sind als Agrartechniker eher direkt an der Stalltür tätig, wie ist ihre Perspektive zum Thema Klima?
Frau Dr. Zehetmeier und ich haben eigentlich den gleichen Ausgangspunkt, auch meine Arbeitsschwerpunkte drehen sich um die schwierige Auflösung des Zielkonfliktes "Tierwohl", "Umweltschutz" und "Ökonomie". Aber die Antworten finden natürlich auf einer ganz anderen Ebene statt.Bei uns am Institut für Landtechnik und Tierhaltung geht es um ganz konkrete Fragen mit den direkten Folgen für die landwirtschaftliche Praxis. Jüngst haben wir beispielsweise die Umweltwirkungen verschiedener Stallsysteme für die Schweinemast und Maßnahmen zur Ammoniakreduzierung untersucht. Ein zum Teil überraschendes Ergebnis war, dass getrennte Funktionsbereiche, also ein Stall mit Auslauf und Liegezonen, Emissionen zwar reduzieren kann, gleichzeitig Ammoniak und Geruchsbelastung im nahen Umfeld des Stalles aber zunehmen. Da tauchen gleich weitere Fragestellungen auf: Ist mehr Tierwohl in Summe umweltfreundlicher? Haben sich die genehmigungsrelevanten Emissionen verändert? Was heißt das für die Standortwahl eines neuen Stallgebäudes, muss der Bauer raus aus dem Dorf? Und immer die grundsätzliche Frage: Ist das noch wirtschaftlich?
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Nutztiere und Umwelt: Stofftransport in der Atmosphäre (Emission – Transmission – Immission – Deposition), vereinfacht

Dr. Zehetmeier: Selbstverständlich geht es auch bei uns um Wirtschaftlichkeit. Für Einzelberatung haben wir einen Klimacheck für landwirtschaftliche Betriebe entwickelt. Dank der LfL können wir auf eine europaweit einzigartige Sammlung an Fachdaten zurückgreifen. Mit Hilfe dieser Daten haben wir speziell für Bayern eine Modellierung der THG-Emissionen entwickelt. Nach der Auswertung am Institut bekommen die Betriebe von uns sowohl eine ökonomische Analyse sowie eine Analyse der einzelnen THG-Emissionsquellen ihres Betriebs. So können Maßnahmen ergriffen werden, die nicht nur THG-Emissionen reduzieren, sondern auch wirtschaftliche Vorteile bieten. Für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen in der Praxis spielt die ökonomische Tragfähigkeit schließlich eine wichtige Rolle.
Herr Dr. Neser, neue gesetzliche Verschärfungen im Umweltrecht vor allem bei den Emissionen setzen den Landwirten zu. Viele fragen sich, was da noch auf sie zukommt.
Tatsächlich wird etwa die Errichtung eines neuen Stallgebäudes immer schwieriger. Es sind aber nicht nur neue Gesetze oder die potentiellen Emissionen, die einen Stallbau verkomplizieren. Es ist ein sehr, sehr langer Weg, bis ein neuer Stall endlich steht. Welche Standortfaktoren gibt es im konkreten Fall? Welches Haltungssystem passt zum jeweiligen Landwirt? Wie reagiert das unmittelbare Umfeld, das Dorf, die Nachbarn? Welche einzelnen Schritte sind im aufwendigen Genehmigungsverfahren zu machen? Und was ist die von der EU geforderte "beste verfügbare Technik"? Fazit: Ohne Hinzuziehung von Fachleuten und Beratern kann ein Landwirt heute eigentlich nicht mehr bauen. Aber dafür sind ja schließlich die LfL und das Beraternetzwerk da. Und trotzdem fragt sich so mancher Landwirt: Wie werden die Rahmenbedingungen in zehn Jahren sein, sind am Standort noch betriebliche Entwicklungsschritte möglich, habe ich zukunftssicher gebaut?
Hand hält Tierfutter vor RindZoombild vorhanden

Großer Einfluss: Fütterung und Rationsgestaltung verändern die Emissionen

Frau Dr. Zehetmeier, die Nachhaltigkeit in der Nutztierhaltung ist ja gerade eines Ihrer aktuellen Forschungsprojekte.
Im europaweiten Projekt "Animal Future" arbeiten wir als einzige deutsche Institution zusammen mit Franzosen, Spaniern, Portugiesen, Schotten und Niederländern an einer großen Studie zu einer möglichst mehrdimensionalen Nachhaltigkeitsbewertung. Es sollen Methoden entwickelt werden, um zukünftige Betriebssysteme ganzheitlich zu analysieren und auch an regionale Anforderung anpassen zu können. Wir bringen hier unsere bayerischen THG-Modelle ein. Das klingt jetzt alles sehr theoretisch, dabei arbeiten wir in der Praxis mit 21 Michviehbetrieben aus Oberbayern und 15 Schweinemastbetrieben aus Niederbayern zusammen und wollen in den Betrieben Potenziale und auch Zielkonflikte in den Bereichen Umwelt, Tierwohl, Akzeptanz der Gesellschaft und Soziales aufdecken. Schon jetzt wird klar: Beim landwirtschaftlichen Betrieb der Zukunft kann die Klimabilanz nur einer von vielen wichtigen Bausteinen sein und darf nie isoliert betrachtet werden. Alle Maßnahmen im Betrieb haben Auswirkungen auf eine Vielzahl von Nachhaltigkeitsaspekten.
Letztendlich muss sich die gesamte Gesellschaft über die Gewichtung einigen. Wer soll sonst entscheiden, wo der Weg der Nutztierhaltung hinführt?