Herr Prof. Götz, was bedeutet für Sie als Tierzüchter Biodiversität?
Vielfach wird Biodiversität nur als Artenvielfalt gesehen. Für mich als Genetiker besteht bei landwirtschaftlichen Nutztieren die biologische Vielfalt nicht nur aus den verschiedenen Rassen, sondern vor allem auch aus einer möglichst breiten Variation innerhalb jeder Rasse. Selbstverständlich gilt es beides gleichermaßen zu erhalten.
In Bayern sind viele Gebräuche mit bayerischen Nutztierrassen verbunden: Almabtrieb oder Leonhardi- und Georgi-Ritten. Ist das alles nur noch Folklore?
Tatsächlich sind die alten Rassen hauptsächlich von kulturhistorischem Interesse. Mir ist nicht bekannt, dass wir als Züchter jemals auf eine seltene Nutztierasse hätten zurückgreifen müssen, um die landwirtschaftliche Produktion zu sichern oder zu verbessern. Das gälte übrigens auch für den Fall, dass sich in Deutschland die Umweltverhältnisse zum Beispiel durch den Klimawandel deutlich verändern würden. Trotzdem sind auch die alten Rassen für Bayern weiterhin von großem Wert. Nehmen Sie das Süddeutsche Kaltblut, dass wir nur durch den engagierten Einsatz staatlicher Mitarbeiter vom Aussterben bewahren konnten und das in der Waldarbeit an ökologisch sensiblen Standorten, aber auch vom Oktoberfest nicht mehr wegzudenken ist. Außerdem ermöglichen einige Rassen erst die Nutzung von Flächen unter extremen Bedingungen – denken Sie nur an die Almwirtschaft. Dazu kommt die Produktion von regionalen, bayerischen Spezialitäten. Das Murnau-Werdenfelser, die einzig verbliebene autochthone Rinderrasse Bayerns, konnte hier sogar als Marke etabliert werden. Auch darum unterstützen wir die Erhaltung dieser Rassen und der Freistaat Bayern fördert die Haltung gefährdeter Rassen finanziell. Insgesamt werden sechs Rinderrassen, zwei Pferderassen und acht Schafrassen durch zum Teil beachtliche Mittel gefördert. Kein anderes Bundesland tut ähnlich viel für die Erhaltung gefährdeter Haustierrassen.
Übersicht der Fördermaßnahmen
RinderRasse | Anträge | Antragstiere |
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Ansbach-Triesdorfer | 23 | 130 |
Braunvieh | 73 | 498 |
Gelbvieh | 97 | 1.032 |
Murnau-Werdenfelser | 144 | 866 |
Pinzgauer | 177 | 1.051 |
Rotvieh-Höhenvieh | 70 | 330 |
gesamt | 6 Rassen | 3.907 Tiere |
PferdeRasse | Anträge | Antragstiere |
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Leutstettener | 4 | 6 |
Rottaler Pferd | 10 | 21 |
gesamt | 2 Rassen | 27 Tiere |
SchafeRasse | Anträge | Antragstiere |
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Alpines Steinschaf | 35 | 635 |
Braunes Bergschaf | 33 | 978 |
Brillenschaf | 23 | 531 |
Coburger Fuchsschaf | 38 | 1.207 |
Krainer Steinschaf | 26 | 583 |
Rhönschaf | 27 | 1.850 |
Waldschaf | 24 | 858 |
Weißes Bergschaf | 44 | 1.594 |
gesamt | 8 Rassen | 8.236 Tiere |
Der Schwerpunkt ihrer Arbeit beim Thema Biodiversität bei landwirtschaftlichen Nutztieren ist aber ein anderer.
Unser Hauptfokus gilt den sogenannten großen Rassen, also beim Rind dem Fleckvieh und Braunvieh, beim Schwein der Deutschen Landrasse und der Rasse Piétrain und beim Schaf dem Merinolandschaf. In den großen Rassen geht es vor allem um das Management der genetischen Vielfalt. Im Rahmen unserer komplexen Zuchtprogramme arbeiten wir am Monitoring der Entwicklung von wichtigen Kenngrößen und der gezielten Steuerung der Linienvielfalt innerhalb der Rassen. Die LfL berät die Zuchteinheiten beim Rind zum Beispiel bei der Erstellung der nächsten Generationen von Besamungsbullen. Vor allem sorgen wir für Transparenz zwischen den verschiedenen nationalen und internationalen Zuchteinheiten, damit sich nicht alle züchterisch auf dieselben Bullen konzentrieren.
Beim Schwein bieten wir unter anderem die Online-Anpaarungsplanung an, die den Züchtern hilft, die Inzucht der nächsten Generation zu minimieren. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Bekämpfung von Erbfehlern. Mit modernen genomischen Methoden entdecken wir Erbfehler bereits, bevor sie ein Problem werden. In der Bekämpfung muss man allerdings aufpassen, dass die Entfernung der Träger unerwünschter Genvarianten nicht zu schnell erfolgt, sonst kann die Linienvielfalt darunter leiden. Mit Hilfe von uns entwickelter Anpaarungsplanungen kann man die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von erkrankten Tieren sehr weit reduzieren.
Ihr Institut hat ja sogar einen gesetzlichen Auftrag zur Erhaltung der Biodiversität bei Nutztieren.
Nach dem Bayerischen Tierzuchtgesetz (BayTierZG) betreibt Bayern für die bayerischen Nutztierrassen eine staatliche Genreserve und hält sogenannte Genreserveherden, und das schon seit den Siebziger Jahren. Der staatliche Genpool ist dezentral organisiert und über mehrere bayerische Besamungsorganisationen verteilt. Dies soll im Fall von Seuchen oder Naturkatastrophen aber auch bei technischen Pannen den Totalverlust des genetischen Materials verhindern. Die Lagerung der Genreserven vor allem in Form von Sperma soll – so steht es im Gesetz – eine nachhaltige, standortangepasste und innovative Tierzucht gewährleisten, landestypische Nutztierrassen erhalten und Erbfehler vermeiden. Wir betreuen die dort lagernden 81.000 Samenportionen von acht verschiedenen Rassen und kümmern uns züchterisch um die Genreserveherden.
Die züchterische Praxis hat sich verändert. Was bedeutet das in Zukunft für ihre Arbeit in Bezug auf die Erhaltung der Biodiversität bei Nutztieren?
Aus wissenschaftlicher Sicht müssen wir nicht die Rassen, sondern die sie besonders auszeichnenden Genvarianten erhalten. Durch konsequente Sequenzierung der seltenen Rassen könnte man die Unterschiede zwischen Rassen objektivieren und bei der Erhaltung darauf achten, dass diese nicht durch Selektion neutralisiert werden. Außerdem könnte man dann bei Bedarf, die in den modernen Rassen fehlenden Varianten durch Gen-Editing einfach neu erzeugen. Das wäre viel effizienter und nachhaltiger, als eine konventionelle Rückkreuzung, die, je nach Tierart, Jahrzehnte in Anspruch nehmen kann.