Praxisinformationen
Zuchtwertschätzung für Kalbeverlauf und Totgeburtenrate
Die Zuchtwertschätzung für Kalbeverlauf und Totgeburtenrate existiert in Deutschland seit 1994 und in Österreich seit 1995 bzw. 1998 (Totgeburtenrate).
Die Zuchtwertschätzung wird von der ZuchtData GmbH in Wien, die Holstein-Zuchtwertschätzung vom VIT Verden durchgeführt.
In die Zuchtwertschätzung für Kalbeverlauf gehen alle Abkalbungen seit 01.01.1990 ein.
Kalbeverlauf
Als Merkmal für Kalbeverlauf bzw. Leichtkalbigkeit wird in Österreich die 5-stufige Einteilung der ZAR verwendet:
- Leichtgeburt (keine Geburtshilfe erforderlich)
- Normalgeburt (Geburtshilfe von einer Person erforderlich)
- Schwergeburt (Geburtshilfe von mehr als einer Person oder mechanischer Geburtshelfer erforderlich)
- Kaiserschnitt
- Embryotomie (Zerstückeln des Kalbes)
Für die Zuchtwertschätzung werden Kaiserschnitt und Embryotomie zusammengefasst. Je nach Häufigkeit der einzelnen Klassen wird jeder dieser Klassen der Durchschnittswert einer normalverteilten Zufallsvariable zugeordnet. Die Transformation erfolgt dabei innerhalb Region-Jahr-Monat. In der folgenden Tabelle ist die prozentuelle Verteilung der Kalbeverlaufscodes bei den österreichischen Rinderpopulationen zu finden.
Tabelle 1: Prozentuelle Verteilung der Kalbeverlaufscodes und Totgeburtenrate bzw. Verendet innerhalb 48 Stunden in Österreich 2008.Rasse: | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | Tot-geb. | Verendet |
Fleckvieh | 41,9 | 53,9 | 4,1 | 0,1 | 0,0 | 1,0 | 3,1 |
Braunvieh | 54,8 | 42,4 | 2,6 | 0,1 | 0,0 | 0,9 | 3,1 |
Holstein | 50,4 | 46,8 | 2,8 | 0,1 | 0,0 | 1,1 | 4,8 |
Pinzgauer | 27,1 | 58,9 | 4,0 | 0,1 | 0,0 | 0,3 | 3,6 |
Grauvieh | 47,1 | 50,1 | 2,7 | 0,1 | 0,0 | 0,1 | 1,9 |
Totgeburtenrate
Die Totgeburtenrate wird als Ja/Nein-Merkmal in der Zuchtwertschätzung verwendet, wobei auch die Todesfälle bis 48 Stunden nach der Geburt mitgezählt werden. Aus tierärztlicher Sicht kann eine Infektion nach der Geburt nicht so schnell zum Tod des Kalbes führen.
In Österreich werden fehlende Totgeburten- bzw. Verendungsmeldungen aufgrund der Daten aus der Tierkennzeichnung korrigiert. Dabei werden Tiere, die innerhalb von 2 Tagen nach der Geburt einen Systemaustritt hatten, auf verendet gesetzt. Damit erhöht sich der Anteil der Totgeburten pro Jahr z.T. um mehr als 1%.
Für die gemeinsame Zuchtwertschätzung wird das Programmpaket MiX99 von Lidauer et al. (2000) verwendet. Früher wurden Kalbeverlauf und Totgeburtenrate separat geschätzt und Abkalbungen von Kalbinnen und Kühen wurden als gleiches Merkmal aufgefasst. Bei der neuen Zuchtwertschätzung werden Kalbeverlauf und Totgeburtenrate gemeinsam geschätzt. Außerdem werden die 1. und weitere Abkalbungen als verschiedene Merkmale behandelt. Bei dieser multivariaten Zuchtwertschätzung werden die genetischen Korrelationen zwischen den Merkmalen berücksichtigt.
KVL/TOT = Betrieb * Jahr + Region * Jahr * Kalbemonat + Geschlecht + Laktation * Kalbealtersklasse + permanenter Umwelteffekt + Kalb (paternaler Effekt) + Kuh (maternaler Effekt) + Resteffekt
Die ZWS beruht auf einem BLUP-Tiermodell. Bei der Wahl des genetischen Modells wurde berücksichtigt, dass bei der Abkalbung verschiedene genetische Effekte von Bedeutung sind. Dies wird durch eine Trennung in eine direkte (paternale) und eine maternale Komponente erreicht. Durch diese Trennung in zwei genetische Effekte wird bei der Zuchtwertschätzung der direkte Kalbeverlauf eines Stieres simultan mit dem maternalen Zuchtwert der besamten Kühe berücksichtigt. Dies entspricht der Berücksichtigung des Anpaarungsniveaus in der Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale und hat sehr große Bedeutung bei den sogenannten Leichtkalbsstieren (Kalbinnenstieren), da diese üblicherweise auch auf die Problemkühe bei weiteren Kalbungen eingesetzt werden. Durch diese simultane Berücksichtigung des maternalen Zuchtwertes sollte der paternale Zuchtwert nach der Empfehlung als Kalbinnenstier nicht schlechter werden, während sich die Schwergeburtenrate meist erhöht.
Um der länderübergreifenden Zuchtwertschätzung Rechnung zu tragen, wurde ein Regionseffekt entsprechend unterschiedlicher Datenerhebung bzw. Klimabedingungen eingeführt. Die Transformation der Kalbeverlaufscodes auf die Normalverteilung wird innerhalb Region-Jahr-Monat durchgeführt.
Der Kalbeverlauf wird von der Laktationsnummer der Kuh und dem Geschlecht des Kalbes sehr stark beeinflusst. Wie die Abbildung 1 zeigt, sind die weiteren Abkalbungen deutlich leichter als die Erstlingskalbungen.
Beim Kalbealter scheint ein mittlerer Bereich am besten zu sein. Bei sehr niedrigem und höherem Kalbealter gibt es mehr Probleme mit den Abkalbungen.
Der Einfluss des Geschlechtes des Kalbes auf den Kalbeverlauf ist ebenfalls sehr stark (siehe Abbildung 2). Männliche Kälber führen zu deutlich schwierigeren Kalbungen als weibliche Kälber. Bei der ersten Kalbung ist dabei die Differenz noch größer als bei den weiteren Kalbungen. Im Vergleich zu diesen beiden Einflussfaktoren übt das Kalbemonat nur einen geringen Einfluss auf den Kalbeverlauf aus.
Genetische Parameter
In einer Dissertation an der Universität für Bodenkultur Wien (Druet, 2002) wurden die genetischen Parameter geschätzt. Die nunmehr verwendeten Parameter stammen aus dieser Arbeit bzw. aus Literaturangaben (Tabelle 2).
Tabelle 2: Genetische Parameter (Diagonale: Heritabilitäten, über Diagonale: genetische Korrelation) | KVL1p | KVL2p | KVL1m | KVL2m | TOT1p | TOT2p | TOT1m | TOT2m |
---|
KVL1p | 9 % | +0,80 | -0,26 | -0,35 | +0,70 | +0,63 | | |
KVL2p | | 3 % | -0,35 | -0,52 | +0,63 | +0,70 | | |
KVL1m | | | 4 % | +0,80 | | | +0,60 | +0,54 |
KVL2m | | | | 2 % | | | +0,54 | +0,60 |
TOT1p | | | | | 2 % | +0,80 | -0,04 | -0,06 |
TOT2p | | | | | | 1 % | -0,06 | -0,10 |
TOT1m | | | | | | | 2 % | +0,80 |
TOT2m | | | | | | | | 1 % |
Die beiden Zuchtwerte für die 1. Abkalbung bzw. die weiteren Abkalbungen werden im Verhältnis 1 zu 1 gewichtet. Die daraus resultierenden Zuchtwerte werden wie gewohnt als Relativzuchtwerte mit einem Mittel von 100 und einer wahren genetischen Streuung von 12 Punkten veröffentlicht. Die Basispopulation ist wie bei den anderen Merkmalen definiert.
Die Sicherheit wird approximativ berechnet. Die Zuchtwerte von Stieren werden auf jeden Fall bei Vorliegen offizieller Milch-Zuchtwerte unabhängig von ihrer Sicherheit veröffentlicht. Sie können aber bei einer Mindestsicherheit von 30% auch bereits vorher veröffentlicht werden. Die Kuh-Zuchtwerte gehen in die Berechnung des Gesamtzuchtwertes ein.
Die genetischen Trends sind überwiegend sehr stabil (siehe Abbildungen 3 und 4).
Abbildung 3: Genetischer Trend für Kalbeverlauf und Totgeburten von Fleckviehstieren
Abbildung 4: Genetischer Trend für Kalbeverlauf und Totgeburten von Braunviehstieren
Abbildung 5: Zusammenhang zw. ZW paternaler Kalbeverlauf und pat. Schwergeburtenrate beim Fleckvieh
Abbildung 6: Zusammenhang zw. ZW maternaler Kalbeverlauf und mat. Schwergeburtenrate beim Fleckvieh
Abbildung 7: Zusammenhang zw. ZW paternaler Totgeburtenrate und pat. Totgeburtenrate beim Fleckvieh
Abbildung 8: Zusammenhang zw. ZW maternaler Totgeburtenrate und mat. Totgeburtenrate beim Fleckvieh