Praxisinformationen
Zuchtwertschätzung Fruchtbarkeit
Die Bedeutung der Fruchtbarkeit wird dann sehr stark ins Bewusstsein gerückt, wenn einerseits die Besamungskosten dadurch stark ansteigen und andererseits die Zwischenkalbezeiten so hoch werden, dass die geregelte Remontierung der weiblichen Nachzucht in Frage gestellt wird.
Bei den gegenwärtigen Zwischenkalbezeiten in den USA von 430 Tagen ist diese Größenordnung nahezu erreicht. Obwohl Fruchtbarkeitsmerkmale eine niedrige Heritabilität aufweisen, kann durch eine lang andauernde Selektion auf ein negativ korreliertes Merkmal (z. B. die Milchleistung) ein entsprechend unerwünschter Effekt eintreten. Die Behebung dieses unerwünschten Effektes auf genetischem Weg dauert wegen der niedrigen Heritabilität allerdings ebenfalls sehr lange.
Die Zuchtwertschätzung für Fruchtbarkeit existiert in Deutschland seit 1994 und in Österreich seit 1995. Seit 2002 wird die Zuchtwertschätzung gemeinsam für Deutschland und Österreich bei jedem ZWS-Termin von der ZuchtData GmbH in Wien durchgeführt. Die Holstein-Zuchtwertschätzung wird vom VIT Verden durchgeführt. Bis 2008 wurden für die Non-Return-Rate am 90. Tag nach der Erstbesamung (NR90) paternale und maternale Zuchtwerte geschätzt. Die Fruchtbarkeit stellt allerdings ein sehr komplexes Merkmal dar, das durch die NR90 nur unzureichend beschrieben wird. Im Rahmen einer Dissertation an der Universität für Bodenkultur Wien (Dr. Birgit Gredler, 2008) wurde in Zusammenarbeit mit der ZuchtData GmbH und dem ZWS-Team eine verbesserte ZWS für Fruchtbarkeit entwickelt.
Als Datengrundlage werden alle Belegungen (KB und Natursprung) von allen Kalbinnen und Kühen seit 1990 verwendet.
Die Daten werden einer strengen Plausibilitätsprüfung unterzogen, da z.B. eine unvollständige Besamungsmeldung zu falschen Fruchtbarkeitskennzahlen führt. Die Verzögerungszeit wird nur verwendet, wenn eine nachfolgende Abkalbung mit plausibler Trächtigkeitsdauer vorliegt. Die Non-Return-Rate muss in Abhängigkeit von der Betriebsgröße in einem plausiblen Bereich liegen. Werden nur oder fast nur erfolgreiche Belegungen gemeldet, werden die Daten dieses Jahres von der ZWS ausgeschlossen. Die mittlere Non-Return-Rate pro Betrieb und Jahr darf maximal drei Standardabweichungen über dem Durchschnitt für diese Betriebsgröße liegen. Diese Prüfung kommt allerdings bei kleinen Betrieben praktisch nicht zum Tragen, da z.B. bei einem 5-Kuh-Betrieb tatsächlich in einem Jahr alle Kühe bei der Erstbesamung trächtig geworden sein können.
Merkmale:
Wurde bisher die Fruchtbarkeit nur durch die NR90 beschrieben, so wird die Fruchtbarkeit jetzt deutlich umfassender und detaillierter betrachtet:
- Kalbin- und Kuhfruchtbarkeit werden als unterschiedliche Merkmale behandelt
- die Konzeptionsfähigkeit wird über die NR56 und die Verzögerungszeit beschrieben
- die Rastzeit wird als Merkmal für die Zyklusfähigkeit berücksichtigt.
Non-Return-Rate 56 Kalbin bzw. Kuh (NR-Kalbin, NR-Kuh)
wurde innerhalb von 56 Tagen nach der Erstbesamung eine Belegung gemeldet ja oder nein (bei Stieren in % erfolgreiche Erstbesamungen ausgedrückt).
Die NR56 wird statt NR90 verwendet, weil einerseits NR56 international üblich ist und von Interbull empfohlen wird und andererseits der längere Betrachtungszeitraum von NR90 durch das neue Merkmal Verzögerungszeit noch genauer abgedeckt wird.
Rastzeit (RZ)
Zeit von Abkalbung bis zur ersten Belegung in Tagen.
Verzögerungszeit Kalbin bzw. Kuh (VZ-Kalbin, VZ-Kuh)
Zeit von der ersten bis zur erfolgreichen Belegung in Tagen.
Die ZWS wird mit einem Mehrmerkmals-BLUP-Tiermodell durchgeführt. Das bedeutet, dass die fünf Fruchtbarkeitsmerkmale (NR-Kalbin, NR-Kuh, RZ, VZ-Kalbin, VZ-Kuh) unter Berücksichtigung der genetischen Beziehungen gemeinsam (multivariat) geschätzt werden. Folgende Effekte werden im ZWS-Modell berücksichtigt:
- Region-Jahr-Monat
- Betrieb-Jahr
- Laktation-Belegalterklasse (Kalbin) bzw. Kalbealterklasse (Kuh)
- Besamer-Art (KB, Frisch bzw. Natursprung)-Jahr
- Belegstier
- genetischer Effekt Kalbin/Kuh
- permanente Umwelt Kuh
Tabelle 1: Genetische Parameter für Fleckvieh und weitere Rassen (Heritabilitäten auf Diagonale, genetische Korrelationen oberhalb Diagonale): | NRKalbin | NRKuh | RZ | VZKalbin | VZKuh | Genet. Streuung |
NRKalbin | 1,4 % | +0,70 | +0,27 | -0,60 | -0,54 | 4,9 % |
NRKuh | | 1,2 % | +0,41 | -0,49 | -0,62 | 5,1 % |
RZ | | | 3,5 % | +0,24 | +0,34 | 5,0 Tg |
VZKalbin | | | | 1,2 % | +0,58 | 5,3 Tg |
VZKuh | | | | | 2,2 % | 7,7 Tg |
Tabelle 2: Genetische Parameter für Braunvieh (Heritabilitäten auf Diagonale, genetische Korrelationen oberhalb Diagonale): | NRKalbin | NRKuh | RZ | VZKalbin | VZKuh | Genet. Streuung |
NRKalbin | 1,0 % | +0,69 | +0,27 | -0,60 | -0,51 | 3,9 % |
NRKuh | | 1,8 % | +0,20 | +0,62 | -0,55 | 5,8 % |
RZ | | | 2,7 % | +0,22 | +0,57 | 5,8 Tg |
VZKalbin | | | | 1,0 % | +0,50 | 5,5 Tg |
VZKuh | | | | | 1,9 % | 7,8 Tg |
Die verwendeten genetischen Parameter wurden an österreichischen und deutschen Daten für Fleckvieh und Braunvieh geschätzt bzw. mit Literaturergebnissen abgeglichen. Die Fleckvieh-Parameter werden auch für die weiteren Rassen verwendet.
Töchterfruchtbarkeit
Das Ergebnis der ZWS sind 5 Einzelzuchtwerte für die Töchterfruchtbarkeit. Diese werden zu einem maternalen Fruchtbarkeitsindex (FRUmat) zusammengefasst, wobei die Rastzeit nicht direkt in den Index eingeht.
FRUmat = 1/8 NR-Kalbin + 3/8 NR-Kuh + 1/8 VZ-Kalbin + 3/8 VZ-Kuh
Die Zuchtwerte werden wie gewohnt als Relativzuchtwerte auf einen Mittelwert von 100 und eine genetische Standardabweichung von 12 Punkten standardisiert. Zu beachten ist, dass Werte über 100 züchterisch positiv zu sehen sind. Das bedeutet, dass die Skala bei Rastzeit und Verzögerungszeit gedreht wird. Die Zuchtwerte geben Auskunft über die Fruchtbarkeit der Töchter eines Stieres.
Die Fruchtbarkeitszuchtwerte von Stieren werden auf jeden Fall bei Vorliegen offizieller Milch-Zuchtwerte unabhängig von ihrer Sicherheit veröffentlicht. Sie können bei einer Sicherheit von 30% aber auch bereits vorher veröffentlicht werden. Die Kuh-Zuchtwerte gehen in die Berechnung des Gesamtzuchtwertes ein.
Stierfruchtbarkeit
Aufgrund der Ergebnisse des Forschungsprojekts und internationaler Literaturergebnisse wird für die Stierfruchtbarkeit kein Zuchtwert mehr geschätzt, weil die Heritabilität nahe 0 liegt und somit keine ZWS rechtfertigt. Stattdessen wird der um alle sonstigen Effekte im ZWS-Modell korrigierte fixe Belegstier-Jahreseffekt für NR56 veröffentlicht. Dazu wird der Stiereffekt verwendet, sofern dieser auf mindestens 200 (Fleckvieh, Braunvieh) bzw. 100 (alle anderen Rassen) Daten beruht. Dieser Wert für die Stierfruchtbarkeit (Befruchtung Bef) wird als ganzzahlige Prozentabweichung für NR56 veröffentlicht. Bef wird nur veröffentlicht, wenn in den letzten fünf Jahren die Mindestanzahl an Beobachtungen vorliegt.
Der genetische Trend ist in den Abbildungen 1 (Fleckvieh) und 2 (Braunvieh) dargestellt.
Abbildung 1: Genetischer Trend für die Fruchtbarkeit von Fleckviehstieren
Abbildung 2: Genetischer Trend für die Fruchtbarkeit von Braunviehstieren
Tabelle 3: Zusammenhang zwischen dem Zuchtwert Fruchtbarkeit (maternal) und den Fruchtbarkeitsmerkmalen (Fleckvieh).FRUmat | NR56Kalbin | NR56Kuh | Rast | VerzKalbin | VerzKuh | SP | ZKZ |
---|
80 | 73,4 | 58,6 | 71,4 | 28,9 | 50,4 | 120,7 | 397,0 |
90 | 76,1 | 62,5 | 71,9 | 26,0 | 44,6 | 115,4 | 394,0 |
100 | 78,8 | 65,3 | 72,9 | 22,5 | 40,7 | 112,2 | 391,9 |
110 | 80,9 | 68,3 | 72,9 | 19,7 | 35,9 | 107,2 | 388,5 |
120 | 80,7 | 70,7 | 73,0 | 17,7 | 31,7 | 104,5 | 385,1 |
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen ZW Fruchtbarkeit (maternal) und Zwischenkalbezeit (Fleckvieh)
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen Befruchtungswert und NR56 (Fleckvieh)