Aktuelle Entwicklungen in der Milchvermarktung und deren Auswirkungen auf die Milcherzeuger
Die Vermarktung wird sich in den kommenden Jahren in mehreren Bereichen verändern und weiterentwickeln. Der Gesetzgeber wird Produktionsstandards voraussichtlich noch konkreter regeln und restriktiver als bisher handhaben sowie kontinuierlich verschärfen. Die größte Dynamik geht aktuell allerdings vom Lebensmitteleinzelhandel aus. Losgelöst vom gesetzgeberischen Prozess ergeben sich manchmal sehr schnelle und unkalkulierbare Entscheidungen auf der Vermarkterseite bezüglich produktionstechnischer Vorgaben. Dies verunsichert viele Landwirte, vor allem vor dem Hintergrund enger Wirtschaftlichkeitsspannen und volatiler Märkte.
Der Markt wird schwieriger
Seit Marktpreisschwankungen beginnend in 2007/08 deutlich zugenommen haben und die staatliche Milchkontingentierung in 2015 weggefallen ist, erleben die Milcherzeuger und –vermarkter turbulente Jahre. Extreme Preis- und Gewinnsprünge in beide Richtungen und teils unversöhnliche Positionen in Milchpreiskrisen über die „richtige“ europäische und nationale Milchpolitik bestimmen die Diskussion.
Einerseits geht es beim Thema Vermarktung um Konzepte, in der Wertschöpfungskette zwischen Erzeuger, Verarbeiter, Vermarkter und Verbraucher, Wertschöpfung, Volatilität sowie Risiko gleichmäßiger und gerechter als bisher zu verteilen. Dazu zählen die Vertragsbeziehungen zwischen allen Partnern in der Wertschöpfungskette. Prüfaktivitäten des Bundeskartellamtes beispielsweise zum Genossenschaftsrecht zielen genauso in diese Richtung wie politische Vorstöße auf nationaler und europäischer Bühne zum rechtlichen Rahmen der Milchvermarktung. Neu sind in diesem Zusammenhang auch Ideen, Marktrisiken mithilfe von (subventionierten) Versicherungen oder Warenterminbörsen abzupuffern und diese als neuen ergänzenden Teil der Agrarpolitik nach 2021 zu implementieren.
Der Lebensmitteleinzelhandel setzt die neuen Standards
Zoombild vorhanden
Trends bei verschiedenen Milchqualitäten in Bayern
Quelle: Lfl-IEM, Jantke und Kellermann, 2017
Gleichzeitig spielen sich Veränderungen in der Vermarktung von Milch an der Ladentheke ab. In diesem oft emotionalen und aus Sicht des Marketings gelenkten Bereich erlebt die deutsche Landwirtschaft und mit ihr auch die Milchbranche eine zunehmend kritische Diskussion über die Art und Weise, wie Milchviehhaltung und Milcherzeugung betrieben wird und werden soll. Der konventionellen Landwirtschaft wird dabei ein zu starker Einzug industrieller Produktionsmethoden in Verbindung mit großen Produktionseinheiten und einer zu geringen Berücksichtigung von Tierwohl-, Gesundheits- und Umweltschutzaspekten vorgehalten. Mit Auslobung verschiedenster Qualitätskennzeichen bei Milch- und Milchprodukten versuchen sich Vermarkter positiv von diesem Image abzusetzen und Marktanteile zu sichern oder auszubauen.
Höhere Leistungen müssen dauerhaft finanziell honoriert werden
Gesellschaftliche (Teil-)Interessengruppen gewinnen zunehmend an Bedeutung in dieser Diskussion um landwirtschaftliche Produktionsprozesse und Produktqualitäten und koalieren teils erfolgreich mit dem Einzelhandel bzw. mit Molkereien. Dies sind die neuen Impulsgeber und „Player“ in der Veränderung von Vermarktung. Sie agieren unabhängig von Verwaltungsvorschriften oder politischen Entscheidungswegen und können landwirtschaftliche Prozesse und Strukturveränderungen direkt oder indirekt maßgeblich beeinflussen. In dieser Entwicklung liegt die große Gefahr, nur einzelne Aspekte von Produktqualität herauszugreifen und die ökonomische Nachhaltigkeit vor allem auf der Ebene der Erzeuger aus dem Auge zu verlieren.
Am Beispiel des „Tierschutzlabels“ des deutschen Tierschutzbundes zeigt sich die große Schwierigkeit, Nachhaltigkeit im umfassenden Sinne zu gewährleisten, wenn Verbesserungen bei Tierschutz, Umweltschutz, sozialer Situation (der Erzeuger), Stabilität des ländlichen Raums und nicht zuletzt der einzelbetrieblichen Ökonomik gleichermaßen erreicht werden sollen.
Fazit
Die Vermarktung wird sich in den kommenden Jahren in mehreren Bereichen verändern und weiterentwickeln. Vertragsbeziehungen zwischen Erzeugern und Vermarktern beinhalten zukünftig mehr als bisher das Mengenmanagement der Milch in Kombination mit Preisfestlegungen, wobei die regionalen und strukturellen Unterschiede verschiedenste Systeme hervorbringen werden. Der Gesetzgeber wird Produktionsstandards voraussichtlich noch konkreter regeln und restriktiver als bisher handhaben sowie kontinuierlich verschärfen. Neben engeren Vorgaben in der Nutztierhaltung werden auch das Baurecht, die Umweltgesetzgebung bei Düngung und Pflanzenschutz oder auch die Investitionsförderung die strukturelle Entwicklung und zumindest indirekt die Vermarktungswege bestimmen. Mit der Integration von staatlich subventioniertem Risikomanagement wird ein neues Element in die neue europäische Agrarpolitik ab 2021 einziehen.
Die größte Dynamik geht aktuell allerdings vom Lebensmitteleinzelhandel und somit vom „Point of Sale“ aus. Losgelöst vom gesetzgeberischen Prozess ergeben sich manchmal sehr schnelle und unkalkulierbare Entscheidungen auf der Vermarkterseite bezüglich produktionstechnischer Vorgaben. Dies verunsichert viele Landwirte, vor allem vor dem Hintergrund enger Wirtschaftlichkeitsspannen und volatiler Märkte. In der Zielsetzung und Verantwortung, Entwicklungen nachhaltig zu gestalten, seien folgende Thesen bzw. Forderungen formuliert:
- Die Landwirtschaft muss im „freien Markt“ im Einvernehmen mit gesellschaftlichen Mehrheitsmeinungen arbeiten. Steigende Ansprüche an die Art der Milchviehhaltung sind die neue dauerhafte Realität und der Rahmen des Marktes.
- Der Gesetzgeber verliert an Bedeutung für die Standards der Produktion. Die Konkurrenz des Einzelhandels, seine Marktmacht und die starke Öffentlichkeitsarbeit von Interessengruppen bestimmen zusehends die landwirtschaftlichen Produktionsmethoden.
- Nachhaltigkeit darf Wirtschaftlichkeit nicht vergessen. Nachhaltigkeit hat sehr viele Seiten. Basis einer erfolgreichen Volkswirtschaft ist die Wirtschaftlichkeit der Unternehmungen auf allen Stufen.
- Premiumstrategien müssen höhere Wertschöpfung dauerhaft bei allen Beteiligten der Wertschöpfungskette sicherstellen. Die Kombination aus Premiumimage und Discount birgt die Gefahr, auf längere Sicht ein höheres Auflagenniveau ohne Mehrwert zu etablieren. Die Kommunikation muss auch die berechtigten ökonomischen Interessen der Erzeuger aktiv ansprechen.
- Die Beschleunigung des Steigerns des Auflagenniveaus beschleunigt den strukturellen Wandel hin zu größeren Strukturen.
- Die Zunahme an unterschiedlichen Standards und Labels führt zu einem steigenden Auseinanderdriften von Gruppen innerhalb des Sektors und birgt die Gefahr seiner Schwächung.
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