Praxisinformationen
Zuchtwertschätzung Milchleistung

Mit dem Zuchtwertschätztermin November 2002 wurden alle Zuchtwertschätzverfahren für die Fleckvieh- und Braunviehpopulation über die Landesgrenze von Deutschland und Österreich hinweg "grenzenlos" angewendet.

Im Mai 2000 wurde als erstes Verfahren die Exterieurzuchtwertschätzung für die gemeinsame Fleckviehpopulation durchgeführt. Es folgten die Zuchtwertschätzungen für Nutzungsdauer, Melkbarkeit und Zellzahl. Im November 2002 wurden mit den Zuchtwertschätzungen für Fleischleistung, Kalbeverlauf, Totgeburten, Fruchtbarkeit und Milchleistungsmerkmale die übrigen Verfahren auf die länderübergreifende Zuchtwertschätzung umgestellt. Die Berechnung eines Gesamtzuchtwertes für die Rasse Fleckvieh und Braunvieh stellt den "Höhepunkt" der gemeinsamen Zuchtwertschätzung dar.
Zur Entwicklung der gemeinsamen Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale wurde im Oktober 2000 ein gemeinsames Projekt der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Österreich begonnen. Im Rahmen dieses Projektes wurde in Zusammenarbeit zwischen der Bayerischen Landesanstalt für Tierzucht in Grub und einer Wissenschaftlergruppe am Agrifood Research Centre in Jokioinen (Finnland) das in der November Zuchtwertschätzung eingeführte Testtagsmodell entwickelt. Das Testtagsmodell wird bei den Rassen Fleckvieh, Braunvieh, Gelbvieh, Pinzgauer, Tiroler Grauvieh, Vorderwälder und Hinterwälder seit dem Zuchtwertschätztermin November 2002 offiziell angewendet. Der vorliegende Artikel soll die Grundzüge des Testtagsmodells vorstellen und auf die Auswirkungen der Umstellung eingehen.
Gemeinsame Schätzung mit Österreich
Zur Zuchtwertschätzung werden alle Leistungsbeobachtungen von Fleckvieh-, Braunvieh- und Pinzgauerkühen aus den Ländern Deutschland und Österreich einbezogen. Bei den Tieren der Rassen Gelbvieh, Tiroler Grauvieh, Vorder- und Hinterwäldern handelt es sich um regionale Rassen aus den beiden Ländern. Eine Zusammenführung von Zuchtwertschätzergebnissen von Fleckvieh- und Braunviehbullen aus den Ländern Deutschland und Österreich wurde bis August 2002 mit der internationalen Zuchtwertschätzung bei INTERBULL erreicht. Diese Zusammenführung basierte nicht direkt auf den Leistungsdaten, sondern auf den nationalen Zuchtwertschätzergebnissen. Werden in den Ländern verschiedene Zuchtwertschätzmodelle angewendet und unterschiedliche Pedigreedaten verwendet, so können die von INTERBULL ausgegebenen Zuchtwerte gewisse Ungenauigkeiten aufweisen. Vergleichbar ist das mit der aktuellen Situation von Zuchtwerten aus Italien, der Schweiz oder anderen bei INTERBULL teilnehmenden Ländern.
Mit der Einführung der "grenzenlosen" Zuchtwertschätzung mit Österreich kommt es zu einer direkten Einbeziehung der Kühe und Leistungsbeobachtungen aus beiden Ländern. Die Kuh- und Bullenzuchtwerte werden somit direkt vergleichbar. Sie werden mit einem gemeinsamen Zuchtwertschätzmodell berechnet und es werden weitestgehend vollständige und einheitliche Abstammungsdaten verwendet. Durch die direkte Vergleichbarkeit von Zuchtwerten über Ländergrenzen hinweg kommt es zu einer breiteren Selektionsbasis, mit der ein höherer Zuchtfortschritt erreicht werden kann. Insbesondere bei dem gemeinsamen Prüfeinsatz von Bullen in Deutschland und Österreich führt die Einbeziehung aller Töchterleistungen zu einer höheren Sicherheit der geschätzten Zuchtwerte für diese Tiere. In Tabelle 1 und Tabelle 2 ist die Verknüpfung der Fleckvieh- bzw. Braunviehpopulation über die Länder Österreich, Bayern, Baden-Württemberg und dem übrigen Deutschland anhand der Bullen mit mehr als 20 Töchter aufgeführt. Die aufgezeigten Verknüpfungen rechtfertigen das Bestreben einer länderübergreifenden Zuchtwertschätzung für die Fleckvieh- und Braunviehpopulation.
Tabelle 1: Verknüpfung der Fleckviehdaten über die Länder Österreich (AUT), Bayern (BY), Baden-Württemberg (BW) und dem übrigen Deutschland (übrigen DEU) über die Bullen mit mehr als 20 Töchter in der Zuchtwertschätzung November 2008. (Insgesamt 142 Fleckviehbullen haben in allen Gebieten mehr als 20 Tö.)
 BYBWübriges DEUAUT
Bayern104232713991051
Baden-Württemberg 2565135240
übriges Deutschland  644187
Österreich   5437
Tabelle 2: Verknüpfung der Braunviehdaten über die Länder Österreich (AUT), Bayern (BY), Baden-Württemberg (BW) und dem übrigen Deutschland (übrigen DEU) über die Bullen mit mehr als 20 Töchter in der Zuchtwertschätzung November 2008. (Insgesamt 142 Fleckviehbullen haben in allen Gebieten mehr als 20 Tö.)
 BYBWübriges DEUAUT
Bayern204524952175
Baden-Württemberg 105353150
übriges Deutschland  5733
Österreich   2047

Testtagsmodell

Wie der Name Testtagsmodell schon sagt, wird die Leistung an einem Kontrolltag direkt in das Zuchtwertschätzmodell als 24 Stunden-Gemelk einbezogen. Es werden also keine Abschnitts- bzw. Laktationsleistungen mehr berechnet, wie wir es in dem zwischen 1991 und 2002 in Bayern und Baden-Württemberg eingesetzten Mehrabschnitts-Laktationsmodell (MAM) gewohnt waren. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, unvollständige Leistungen hochrechnen zu müssen, wie es z.B. beim 100- oder 200-Tage Leistungsabschnitt im MAM der Fall war. Die Unsicherheit einer Hochrechnung entfällt somit vollständig.
Auch muss nicht mehr gewartet werden, bis komplette Laktationen abgeschlossen sind, bevor die vorliegenden Leistungsinformationen in die Zuchtwertschätzung eingehen. Sobald eine Kontrolltagsleistung erbracht wurde, kann sie auch direkt in der Zuchtwertschätzung berücksichtigt werden. Dies gilt vor allem für die zweiten und späteren Laktationen. Die aus dem Testtagsmodell resultierenden Zuchtwerte beruhen damit früher auf den eigenen Leistungsinformationen bzw. im Falle der Bullen auf den Leistungsinformationen der Töchter. Der Anteil der Verwandtschaftsinformation nimmt somit tendenziell ab.
Abbildung 1: Überblick über den Umfang der Daten aus den einzelnen Ländern in der ZWS Dezember 2014Zoombild vorhanden

Abbildung 1: Überblick über den Umfang der Daten aus den einzelnen Ländern in der ZWS Dezember 2014

In die neu entwickelte Testtagsmodell-Zuchtwertschätzung werden alle Kontrolltagsleistungen zwischen dem Laktationstag 8 und 350 einbezogen. Je mehr Informationen an einem Kontrolltag in die Zuchtwertschätzung eingehen, desto besser lässt sich dessen Einfluss auf die erbrachte Leistung schätzen. Deshalb werden jetzt auch Leistungen aus späten Laktationsstadien sowie aus vierten und späteren Laktationen in die Zuchtwertschätzung einbezogen. Die Kontrolltagsbeobachtungen stammen etwa zu ¾ aus der ersten bis dritten Laktation, der Anteil an Leistungen in den fünften und höheren Laktationen liegt bei 13 Prozent in den Fleckviehdaten und bei 15 Prozent in den Braunviehdaten.
Einen Überblick über die Daten in der Zuchtwertschätzung gibt Tabelle 3 und Abbildung 1.
Tabelle 3: Überblick über den Umfang der Daten in der aktuellen Zuchtwertschätzung Dezember 2014
 FleckviehBraunvieh
Kontrollbeobachtungen247,3 Mio.48,5 Mio.
Kühe mit Leistung10,4 Mio.1,8 Mio.
Pedigree13,4 Mio.2,5 Mio.
Abbildung 2: Beispiel für tägliche Zuchtwerte der 1., 2. und 3. LaktationZoombild vorhanden

Abbildung 2: Beispiel für tägliche Zuchtwerte der 1., 2. und 3. Laktation

Ein wichtiger Unterschied zwischen MAM und Testtagsmodell liegt in den Annahmen über die genetischen Hintergründe der beobachteten Leistung. Genauso wie man bei der Betrachtung einer Laktationsleistung nicht sagen kann, ob die Kuh eine eher gleichförmige Leistung oder eine ausgeprägte Laktationsspitze hatte, sagt der Zuchtwert im MAM nichts über den Verlauf des Zuchtwertes in der Laktation aus. Beim Testtagsmodell dagegen schätzt man mit Hilfe einer mathematischen Funktion einen Zuchtwert für jeden Laktationstag und kann daher auch den Verlauf der Zuchtwertkurve grafisch darstellen (Abbildung 2).
Dies gilt jedoch nicht für alle Testtagsmodelle. In einer vereinfachten Form des Testtagsmodells, die man auch als ‚erste Generation' der Testtagsmodelle bezeichnen kann, führt die Schätzung zu Tageszuchtwerten, die für jeden Laktationstag gleich sind. Ein solches Modell wurde zum Beispiel zwischen 1998 und 2003 zur Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale der Rassen Schwarz-, Rotbunt und Rotvieh in Deutschland vom Rechenzentrum (VIT) in Verden angewendet.
Das für die gemeinsame Zuchtwertschätzung Deutschland und Österreich entwickelte Testtagsmodell der ‚zweiten Generation' (sog. "Random Regression"-Modelle) unterscheidet sich in der Betrachtung der Genetik eines Tieres hiervon erheblich. Es wird hier die Annahme getroffen, dass an jedem einzelnen Laktationstag andere Gene für die Leistung verantwortlich sein können. Zwischen einzelnen Laktationstagen innerhalb einer Laktation und auch zwischen Laktationen können genetische und nichtgenetische Beziehungen berücksichtigt werden. Nahe beieinander liegende Testtage stehen miteinander stärker in Beziehung als weiter auseinander liegende Testtage in einer Laktation.
Abbildung 3: Verlauf der Erblichkeit der Milch-, Fett-, u. Eiweißmenge über die erste Laktation beim FleckviehZoombild vorhanden

Abbildung 3: Verlauf der Erblichkeit

Untersuchungen zur Erblichkeit der Milch-, Fett- und Eiweißmenge beim Fleckvieh und Braunvieh wurden im Rahmen des gemeinschaftlichen Projektes angestellt. Sie haben gezeigt, dass tatsächlich Unterschiede in der Erblichkeit an verschiedenen Laktationstagen vorhanden sind. Hierbei waren Unterschiede zwischen den biologischen Merkmalen Milch, Fett und Eiweiß und auch zwischen den beiden Rassen Fleckvieh und Braunvieh zu beobachten. In Abbildung 3 sind die geschätzten Erblichkeiten (Heritabilitäten) für die Milch-, Fett- und Eiweißmenge der ersten Laktation beispielhaft für die Rasse Fleckvieh dargestellt. Naturgemäß ist die Erblichkeit von einzelnen Tagesleistungen geringer als die längerer Abschnitte. Rechnet man die dargestellten Werte auf eine 305-Tage Leistung um, dann liegt der Wert für die Milchmenge deutlich über den derzeitig verwendeten Parametern im MAM und für die Fett- und Proteinmenge in einem ähnlichen Bereich. Die geschätzten genetischen Beziehungen zwischen Kontrolltagen in verschiedenen Laktationen liegen im Testtagsmodell relativ hoch im Vergleich zum derzeitigen Laktationsmodell. Dies gilt im speziellen für die zweite und dritte Laktation, was auf einen sehr ähnlichen genetischen Hintergrund beider Laktationen schließen lässt. Auch das Testtagsmodell ist nach wie vor ein Tiermodell, in dem die Verwandtschaft der Tiere in der bisher gewohnten Form mit in die Schätzung der Zuchtwerte einbezogen wird.
Grundlegendes Ziel der Zuchtwertschätzung ist die Trennung der Genetik von den Umwelteinflüssen, die auf die vorliegenden Leistungsinformationen eingewirkt haben. Im Testtagsmodell für Österreich und Deutschland werden die Umwelteinflüsse direkt im Zuchtwertschätzsystem simultan mit den Zuchtwerten geschätzt und berücksichtigt. Diese direkte Korrektur hat den Vorteil, dass die Einflüsse an den in die Zuchtwertschätzung eingehenden Daten direkt geschätzt werden. Damit können Umwelteinflüsse besser ausgeschaltet werden.
Der große Vorteil des Testtagsmodells liegt in der Korrektur der Umwelteinflüsse direkt auf der Basis der einzelnen Kontrolltagsgemelke. Im Vergleich dazu können in Abschnittsmodellen nur durchschnittliche Einflüsse über Abschnitte bzw. Laktationen angenommen werden, was der Realität nur selten entspricht. Im Folgenden werden die berücksichtigten Umwelteinflüsse im Testtagsmodell kurz erläutert.
Umwelteinfluss am Kontrolltag
Der Herdenkontrolltag ist die kleinste Vergleichsgruppe innerhalb des Testtagsmodells. Sie beinhaltet alle Probemelken eines Kontrolltags unabhängig von der Laktationsnummer. Da die Anzahl der Leistungsbeobachtungen im Testtagsmodell um ein Vielfaches höher ist im Vergleich zum MAM, wird auf eine Zusammenfassung von Herden verzichtet. Die Beobachtungen der Kühe einer Herde werden somit direkt mit denen von Herdengenossinnen verglichen. Durch den Verzicht auf die Zusammenfassung von Herden und die direkte Berücksichtigung des Kontrolltages im Modell ist eine wesentlich genauere Korrektur der Herdenumwelt im Testtagsmodell gewährleistet. Beispielsweise können aufeinanderfolgende Kontrolltagsleistungen unter sehr unterschiedlichen Umweltbedingungen erfolgen, was im Testtagsmodell direkt berücksichtigt werden kann, während im Laktationsmodell nur ein Herdenjahreseinfluss angenommen wird. Zu diesen herdenkontrolltagsspezifischen Einflüssen gehören beispielsweise stark schwankende Fütterungsverhältnisse (Weidegang, Futterumstellung), unterschiedliche klimatische Verhältnisse (Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit), aber auch Probleme mit der Melkanlage und Melkerwechsel.
Neben dem Herdenkontrolltag wird der Effekt des Produktions-Jahr-Monats innerhalb von definierten Regionen und Laktationen über die Herden hinweg im Modell berücksichtigt. Dieser Effekt wurde zusätzlich in das Testtagsmodell aufgenommen, um nichtgenetische Streuungsunterschiede in der Zuchtwertschätzung zu analysieren und zu berücksichtigen, was weiter unten noch genauer beschrieben wird.
Abbildung 4: Beispiel zum geschätzten Einfluss der TrächtigkeitZoombild vorhanden

Abbildung 4: Beispiel zum geschätzten Einfluss der Trächtigkeit

Trächtigkeitseinfluss
Die im MAM durchgeführte indirekte Korrektur der Abschnitts- bzw. Laktationsleistungen mit Hilfe der Zwischenkalbezeit wird im Testtagsmodell durch die direkte Korrektur der Probegemelke auf den Trächtigkeitstag ersetzt. Wie Untersuchungen gezeigt haben, wird der Trächtigkeitseinfluss auf diese Weise besser berücksichtigt. Möglicherweise vorhandene negative genetische Beziehungen zwischen der Milchleistung und der Zwischenkalbezeit werden so nicht mit der Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale vermischt. Eine Berücksichtigung dieser Zusammenhänge wird durch die separate ZWS Fruchtbarkeit und die Kombination der Zuchtwerte im Gesamtzuchtwert erreicht. In Abbildung 4 ist der Trächtigkeitseinfluss über 285 Trächtigkeitstage für die erste bis dritte Laktation dargestellt. In den ersten fünf Trächtigkeitsmonaten ist nur ein sehr geringer Einfluss auf die Milchleistung vorhanden. Danach steigt der Trächtigkeitseinfluss aber deutlich an und kann kurz vor der nächsten Kalbung bis zu 8 kg am Tag betragen.
Abbildung 5: Beispiel zum geschätzten Einfluss des KalbealtersZoombild vorhanden

Abb. 5: Beispiel zum geschätzten Einfluss des Kalbealters

Einfluss des Kalbealters
Neben dem Trächtigkeitseinfluss wird im Testtagsmodell auch der Einfluss des Kalbealters innerhalb der ersten vier Laktationen berücksichtigt. In den ersten zwei Laktationen sind die Einflüsse des Kalbealters größer als in den folgenden Laktationen (Abbildung 5).
Abbildung 6: Beispiele für geschätzte durchschnittliche Laktationskurven Zoombild vorhanden

Abbildung 6: Beispiele für geschätzte durchschnittliche Laktationskurven

Laktationsstadium
Da im Testtagsmodell alle Probegemelke zwischen Laktationstag 8 und 350 einbezogen werden, ist das Laktationsstadium einer der wichtigsten Einflussfaktoren im Zuchtwertschätzmodell. Hierzu werden die Laktationen in Gruppen eingeteilt, in denen dann die Abhängigkeit der Leistungsbeobachtungen vom Laktationsstadium mit Hilfe von Funktionen geschätzt wird. Diese Funktionen beschreiben die durchschnittliche Laktationskurve für diese Gruppe von Kühen. Ein Beispiel hierfür wird in Abbildung 6 gegeben. Zur Einteilung der Gruppen wird das Kalbejahr, die Kalbesaison (vier Saisons je Jahr), das Kalbealter (drei Stufen), die Region und die Laktationsklasse herangezogen. Es wurden innerhalb Bayerns 4 bzw. 2 Regionen in den Fleckvieh- bzw. Braunviehdaten gebildet, Baden-Württemberg und Österreich bildeten jeweils eine eigene Region. Außerdem werden die Leistungsbeobachtungen aus der Alpung in Österreich in separate Gruppen eingeteilt abhängig davon, in welchem Laktationsstadium die Tiere auf die Alp kommen. Insgesamt wurden im ersten Routinelauf (November 2002) 3.472 bzw. 2.348 Gruppen für die Laktationskurven in den Fleckvieh- bzw. Braunviehdaten gebildet.
Genetische Trends
In den Abbildungen 7 bis 10 sind die durchschnittlichen Milchwerte der Fleckvieh- und Braunviehbullenjahrgänge aus der Zuchtwertschätzung Dezember 2014 separat für die Herkunft Bayern, Baden-Württemberg, Österreich (alle Fleckvieh und Braunvieh) und Tschechien (nur Fleckvieh) gezeigt.
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Abbildung 7: Genetische Trends für Fleckviehbullen

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Abbildung 8: Genetische Trends für Braunviehbullen

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Abbildung 9: Genetische Trends für Fleckviehkühe

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Abbildung 10: Genetische Trends für Braunviehkühe

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Veränderung der Rangfolge der Tiere beim Übergang vom MAM zum Testtagsmodell
Beim Übergang zum Testtagsmodell kam es auch zu Veränderungen der Zuchtwerte, die eine Veränderung der Rangfolge der Tiere bewirkt. Diese Veränderungen können auf zahlreiche Faktoren zurückgeführt werden, die einerseits direkt mit dem Testtagsmodell und andererseits auf zusätzliche Neuerungen in der Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale zurückzuführen sind. Mit dem Übergang zum Testtagsmodell können beispielsweise die veränderten Ausgangsdaten, die wesentlich genauere Berücksichtigung der Umwelteinflüsse, der Vergleich der Tiere innerhalb der Herde und die Einbeziehung der höheren Laktationen genannt werden. Die neue Milchwertberechnung mit der Indexmethode und die Berücksichtigung der heterogenen (ungleichen) Streuungen innerhalb von Herdenkontrolltagen können als zusätzliche Neuerungen neben dem Testtagsmodell genannt werden.
Informationsvorsprung mit dem Testtagsmodell
Der Informationsvorsprung im Testtagsmodell hat einen relativ starken Einfluss auf den Zuchtwert von jungen Bullen bzw. von Bullen mit auflaufenden Leistungen aus dem Zweiteinsatz. Durch die kontinuierliche Einbeziehung der Leistung in der ersten Laktation und besonders in den späteren Laktationen erhält die Weiterentwicklung der Töchterleistungen eines Bullen einen relativ hohen Einfluss. Bullen mit schlechter bzw. guter Persistenz werden so zuverlässiger geschätzt. Bei der Umstellung auf das Testtagsmodell kommt es dadurch zu Veränderungen der Milchwerte bei jungen Bullen mit auflaufenden Erstlaktationsleistungen.
Im Mehrabschnittsmodell wurden die Zweitlaktationsleistungen erst einbezogen, wenn diese abgeschlossen waren. Hier kam es bei Bullen mit schlechten/guten Zweitlaktationsleistungen häufig zu starken Zuchtwertveränderungen. Diese Veränderungen werden im Testtagsmodell zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt eintreten, da die ersten Kontrolltagsgemelke schon eine hohe Aussagekraft über die Leistung der Töchter in der zweiten bzw. dritten Laktation haben. Die Zuchtwerte von Bullen, von denen große Mengen an Leistungsinformationen von Töchtern aus dem Zweiteinsatz auflaufen, können sich durch den Übergang auf das Testtagsmodell ebenfalls relativ stark ändern.
Streuung innerhalb der Herden
Die Streuung der Beobachtungswerte innerhalb von Herden und dort auch innerhalb von verschiedenen Jahren und Monaten ist nicht einheitlich. Das bedeutet, dass in einzelnen Betrieben eine sehr große Streubreite der Probegemelke an einem Herdenkontrolltag vorhanden sein kann, während an einem anderen Herdenkontrolltag im Datenmaterial alle Beobachtungen sehr nahe am Mittelwert des Herdenkontrolltages liegen. Wie in jeder BLUP-Zuchtwertschätzung beruht auch im Testtagsmodell die Schätzung im Allgemeinen auf der Abweichung der Leistungsbeobachtung von einem Vergleichswert. Je höher die Streuung innerhalb eines Herdenkontrolltages ist, desto stärker weichen die guten, aber auch die schlechten Kühe vom Mittel des Herdenkontrolltages ab. Die überdurchschnittlichen Kühe in einer Herde mit hoher Streuung erreichen somit leichter eine höhere Abweichung vom Mittel der Herde. Ein Teil dieser höheren Abweichung findet sich im Zuchtwert der Kühe wieder, wenn man die Streuungsunterschiede im Zuchtwertschätzverfahren ignoriert.
Eine Grundannahme in der Zuchtwertschätzung ist, dass die Streuung innerhalb der Herdenkontrolltage im Datenmaterial einheitlich ist. Um dieser Grundannahme gerecht zu werden, werden die Streuungen mittels Korrekturfaktoren harmonisiert. Die Berechnung dieser Faktoren wird nicht auf der Basis der Streuung der Beobachtungswerte durchgeführt, da diese zum Teil auf Umwelteinflüssen (Laktationsstadium etc.) und auch auf unterschiedlicher genetischer Streuung beruhen kann. Die Ermittlung der Korrekturfaktoren erfolgt daher mit Hilfe der Streuung der nicht durch das Zuchtwertschätzmodell erklärbaren zufälligen Restfehler (Residuen). Mit dem Verfahren bleiben vorhandene Unterschiede in der genetischen Streuung zwischen Herden erhalten, während umweltbedingte Streuungsunterschiede korrigiert werden.
Als Ursache für heterogene Streuungen können unterschiedliche Produktionsniveaus, Fütterungssysteme (z.B. TMR, Abruffütterung), Haltungssysteme (Weidegang, ganzjährige Stallhaltung), Betriebsleiterwechsel und damit verbundene Änderungen im Herdenmanagement beispielhaft genannt werden. Im Allgemeinen nimmt die Streuung der Residuen mit zunehmender Herdenleistung zu. Ist die Streuung der Residuen innerhalb von Herdenkontrolltagen zu groß, wird diese durch die Korrekturfaktoren "gestaucht". Die Zuchtwerte der schlechtesten und besten Kühe in diesen Betrieben rückt nach der Korrektur näher zum Mittelwert der Herden. Ist die Streuung der Residuen zu niedrig, wird sie durch die eingeführten Korrekturfaktoren "gespreizt". Hierdurch werden die Nachteile für Kühen aus Herden mit niedriger Streuung aufgehoben. Die mittleren Zuchtwerte innerhalb der Herden bleiben von der Korrektur der heterogenen Streuungen nahezu unbeeinflusst.
Unterschiede in der Höhe der durchschnittlichen Korrekturfaktoren lassen sich zwischen Ländern und Regionen erkennen. Im Durchschnitt sind die Korrekturfaktoren in Baden-Württemberg höher als in Bayern, was auf das niedrigere Produktionsniveau zurückzuführen ist. Innerhalb Bayerns ist ein Gefälle der durchschnittlichen Korrekturfaktoren von Süd nach Nord zu beobachten. Das bedeutet, dass die Streuungen der Residuen im Durchschnitt etwas höher im Norden Bayerns sind im Vergleich zum Süden und Osten Bayerns. Die Korrekturfaktoren von individuellen Herden bzw. Herdenkontrolltagen innerhalb der gleichen Regionen können jedoch sehr unterschiedlich sein.
Darstellung der Zuchtwerte
Um dem Anwender der Zuchtwerte übersichtliche und verständliche Maßzahlen für die Selektion der Tiere an die Hand zu geben, werden die Zuchtwerte über die Laktationstage 8 bis 312 zum vertrauten 305-Tage Zuchtwert aufsummiert. Die so gebildeten Laktationszuchtwerte der ersten, zweiten und dritten Laktationen werden dann mit jeweils 1/3 gewichtet und zu den Merkmalszuchtwerten Milch-, Fett- und Eiweiß-Kilogramm zusammengefasst. Durch die wesentlich höhere Streuung der Zuchtwerte in der dritten Laktation liegt die "faktische" Gewichtung der dritten Laktation deutlich über der der ersten Laktation. Durch die Einbeziehung der höheren Laktationen (>3) als wiederholte Beobachtung der dritten Laktation kommt es zu einer Berücksichtigung dieser Leistungen auch im gebildeten Merkmalszuchtwert.
Die Merkmalszuchtwerte Fett- und Eiweiß-kg sind der Ausgangspunkt für die Berechnung des Milchwertes. Im Idealfall würde man die Zuchtwerte für beide Merkmale in einem multivariaten Zuchtwertschätzlauf schätzen, ähnlich wie in der Zuchtwertschätzung (ZWS) für Zellzahl und Melkbarkeit, der ZWS Kalbeverlauf und Totgeburtenrate (Braunvieh) oder der ZWS für Fleischleistungsmerkmale. In multivariaten Zuchtwertschätzungen werden die genetischen Beziehungen zwischen den Leistungsbeobachtungen von verschiedenen Merkmalen direkt bei der Schätzung der Zuchtwerte berücksichtigt.
Eine multivariate Zuchtwertschätzung für Fett- und Eiweißmenge für die gemeinsame Fleckviehpopulation wäre jedoch mit sehr hohem Rechenaufwand und damit verbundenen Kosten verbunden. Aus diesen Gründen wird die Schätzung der Fett- und Eiweißzuchtwerte in separaten (univariaten) Schätzläufen durchgeführt. Die Folge ist, dass die Informationsmenge, die der Zuchtwert Fett-kg aufgrund der hohen genetischen Beziehungen über den Zuchtwert Eiweiß-kg liefern kann, nicht berücksichtigt wird.
Besonders bei niedriger Sicherheit der Zuchtwerte ist dieser Informationsverlust nicht unwesentlich. Um diese Informationen beim Zuchtwert des jeweils anderen Merkmals berücksichtigen zu können, wird ein Selektionsindexverfahren angewendet. Mit dem Selektionsindexverfahren wird der Milchwert aus den veröffentlichten Naturalzuchtwerten für Fett- und Eiweißmenge (bei Braunvieh zusätzlich Eiweißgehalt) unter Berücksichtigung der Sicherheit der Zuchtwerte, der genetischen Beziehungen der Merkmale und der ökonomischen Gewichte berechnet (siehe hierzu auch Informationen zum Gesamtzuchtwert). Die ökonomischen Gewichte entsprechen dem Grenznutzen für ein zusätzlich erzeugtes Kilogramm Fett bzw. Eiweiß. Beim Fleckvieh wurden die Gewichte im November 2006 neu festgelegt: 0,45 Euro/Fett-kg und 4,50 Euro/Eiweiß-kg (Verhältnis 1:10).
Beim Braunvieh wird seit November 2002 zusätzlich der Zuchtwert Eiweißgehalt bei der Berechnung des Milchwertes einbezogen. Es wird hier neben den Zuchtwerten Fett- und Eiweiß-kg auch der Zuchtwert Eiweiß-Prozent im angewendeten Indexverfahren berücksichtigt. Die ökonomischen Gewichte der drei Komponenten wurden im August 2007 neu festgelegt: 0,37 Euro/Fett-kg, 3,70 Euro/Eiweiß-kg und 55,15 Euro/Eiweiß-Prozent.
Um die Streuung der Milchwerte auf 12 Punkte (bei einer theoretischen Sicherheit der Zuchtwerte von 100 Prozent) einzustellen, werden die ökonomischen Gewichte von Fett- und Eiweißmenge bei den Rassen Fleckvieh, Gelbvieh, Pinzgauer, Tiroler Grauvieh, Vorderwälder und Hinterwälder skaliert.

Fazit

Das Testtagsmodell stellt nach der Einführung des Tiermodells Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts einen Meilenstein in der Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale dar. Die Zuchtwerte werden durch die verbesserte Berücksichtigung der Umwelteinflüsse bei gleicher Informationsgrundlage genauer und der Informationsvorsprung im Testtagsmodell kann zu einer früheren Selektionsentscheidung führen. Durch die Schätzung der Zuchtwerte über den Laktationsverlauf stehen zudem zusätzliche Möglichkeiten zur Beurteilung der Persistenz zur Verfügung. Dies resultiert im Persistenzzuchtwert, der den Verlauf der Zuchtwerte zwischen dem Laktationstag 60 und 300 beurteilt. Darüber hinaus werden die Zuchtwerte durch die gemeinsame Schätzung mit Österreich direkt vergleichbar, was vor allem dem gemeinsamen Einsatz von Besamungsbullen in Deutschland und Österreich zu gute kommt.